Heimatblatt Nr. 28

Titelbild

Weingott Bacchus mit Bacchantinnen und Pfalzgraf Ruprecht I. (v. l. Caroline Protze, Klaus Heidenreich, Heike Mallmann, Oliver Ploch)

Inhaltsverzeichnis

  • Bacharacher Weinlesefest 1932
  • Viertälernachrichten - Es stand in der Zeitung 1965 ...und vor 40 Jahren 1966
  • Meine Lebensgeschichte - von Maris Larisch - Teil 2
  • In Bingen gab es keine Esel - Eine Anekdote von Wilhelm von Kügelgen   Leseprobe
  • Hausbuch Schumacher aus Steeg
  • Bacharach - 650 Jahre Stadt
  • Marktplatzszene anlässlich der 650-Jahrfeier
  • Bacharach um 1830
  • Aus jenen Tagen
  • Bacharach und Oberdiebach im Rheinischen Städtebund
  • Von der Grenzmark zur Nutzungsfläche einer Siedlung
  • Die Fähre in Rheindiebach   Leseprobe
  • 50 jahre Partnerschaft Rheinland-Pfalz - Burgund
  • Die Katholisch-Apostolische Kirche in Steeg
  • Carus in Bacharach

Leseprobe

Leseprobe  In Bingen gab es keine Esel - Eine Anekdote von Wilhelm von Kügelgen

Wilhelm von Kügelgen war der älteste Sohn des 1772 in Bacharach geborenen Porträt- und Historienmalers Gerhard von Kügelgen. Am 20. November 1802 wurde er in St. Petersburg geboren. Er starb am 25. Mai 1867 in Ballenstedt. Bekannt wurde er durch seine Bücher "Bürgerleben, Die Briefe an den Bruder Gerhard, 1840-1867" und "Jugenderinnerungen eines alten Mannes".

Wilhelm von Kügelgen war 1853 als Kammerherr in die Dienste des Herzogs von Anhalt- Bernburg getreten. Im selben Jahr verweilte Herzog Alexander Karl mit seiner Gemahlin Friederike zur Kur in Bad Kreuznach. Von dort aus unternahm er mit seiner Gemahlin einen Ausflug nach Bingen, von dem er seinem Bruder Gerhard in einem Brief vom 26. Juni 1853 Folgendes schrieb:

"Gestern war die Partie nach Bingen ausgeführt. Hellfeld blieb zu Hause und ich war Reisemarschall. Ich saß hinten auf dem Bedientensitz, der zu kurz war und da die Herzogin die Phantasie hatte den Wagen ganz zurückschlagen zu lassen, so lag mir das halbe Wagenverdeck mit seiner Schmiere auf dem Schoße und verdarb mir die Hosen. Glücklicherweise riß der Sturm dem Herzoge in der ersten halben Stunde den Hut vom Kopfe, worauf die Imperiale wieder aufgezogen und ich frei wurde.

In Bingen wo wir dinirten, fiel es der Herzogin ein zu Esel auf den Rheinstein zu reiten. Ich machte also die Bestellung, und da es in Bingen keine Esel giebt, schickte ich ein Bot durchs Bingerloch nach Asmannshausen, um einen Langohr von dort nach dem Fuß des Rheinsteins überzufahren. Außerdem hatte ich noch viele Bestellungen und die Guldenrechnung im Hotel kostete mir einiges Kopfzerbrechen, da ich nur in Thalern bezahlen konnte. Endlich stiegen wir wieder in den Wagen und als der Herzog schon saß, frug mich die Herzogin ob ich auch für Thee gesorgt hätte? Auf dem Rheinstein ist nämlich nichts zu haben. Dies hatte ich radikal vergessen. Da wir noch im Gasthof waren, wäre der Schaden leicht ersetzt gewesen, wenn man nur 5 Minuten hätte warten wollen. Das geht aber mit den Herrschaften nicht, und der Wirth hatte nur eben noch Zeit mir, als der Wagen schon in Bewegung war, eine Düte mit Thee und Zucker zuzustellen, aber freilich nichts dazu. Diese verfluchte Vergeßlichkeit bei der ersten großen Partie, die ich als Cavalier zu führen hatte, verdarb mir den ganzen Nachmittag. Ueber der Eselnoth hatte ich den Thee vergessen - ein schreckliches Verbrechen!

Am Fuße des Rheinsteins gab es wieder Noth. Ich mußte die Bootsleute, die den Esel gebracht hatten, bezahlen und war umringt von einer Schaar von Bettlern und Kindern mit Blumen und Erdbeeren. Die Herrschaften warteten aber keinen Augenblick und die Herzogin rief schon ungeduldig nach mir, daß ich neben ihrem Esel gehen sollte, um sie zu schützen. Ich zahlte Alles doppelt und dreifach um nur loszukommen und keuchte den heißen Berg hinauf, den Anderen nach so gut ich konnte.

Oben war meine erste Sorge, Futter für die Herrschaften. Der Kastellan konnte aber nichts schaffen als Butterbrod, Erdbeeren, Wein und Pfannkuchen, die seine Frau selbst gebacken. Die Herzogin schien mir sichtlich verstimmt, daß die gewohnten Biscuits und Confitüren zum Thee fehlten. Der unschuldige Herzog verschlang aber seine Butterbremmen wie ein Drescher.

Die Burg wurde 2 Stunden lang durchkrochen - O welche himmlische Aussicht auf den alten gewaltigen vaterländischen Strom mit seinen himmelhohen Bergen, alten Burgen und Dampfschiffen, die ohne Aufhören hin und herschossen!

Ich sage Dir nichts von den Sammlungen alter Waffen, von den merkwürdigen mittelalterlichen Meubles und Bildern, die Prinz Friedrich hier zusammengebracht hat. Ich konnte nichts genießen, weil ich den Thee vergessen hatte. Wir hatten zwar so eben erst für 10 Thaler dinirt und ich war so satt, daß ich mich kaum rühren konnte, und in Kreuznach erwartete uns um 8 Uhr wieder ein tüchtiges Souper, aber die Herrschaften sind nie ganz satt und brauchen nur an Essen zu denken, so können sie auch jedes beliebige Quantum wieder unterbringen.

Der Rückweg war das beste. Wir hatten den Wind entgegen und ich konnte also auf meinem Throne hinten rauchen."

Leseprobe  Die Fähre in Rheindiebach

Das Ehepaar Heinrich und Anna Mades begann um 1890 mit dem "Fährbetrieb" von Rheindiebach nach Lorch. 1902 wurde die Fähre als "Nachenfähre" in dem Buch "Panorama des Rheines" erwähnt.

Die Fähre war ein Holzkahn, der Antrieb war die Muskelkraft mit zwei Rudern, bei günstigen Windbedingungen wurde sogar ein Segel gesetzt. Rund um den Kahn befand sich eine Sitzbank, auf welcher die Gäste während der Überfahrt saßen. Ware wurde in der Kahnmitte gelagert.

Feste Zeiten für die Überfahrt gab es nicht, es wurde je nach Bedarf übergesetzt. Dies geschah zu jeder Tageszeit, auch in der Nacht. Die Verbindung nach Lorch auf der rechten Rheinseite wurde oft genutzt. Die Bewohner besuchten sich gegenseitig zu den jeweiligen Festen, wie z. B. zur Kirmes, dann waren auch Nachtfahrten erforderlich.

Der Arzt Dr. Schildsohn aus Lorch betreute ärztlich das gesamte Diebachtal. Der Arzt wurde bei Bedarf mit einem akustischen Signal (Horn) von Rheindiebach aus verständigt. Die Bewohner des Hauses, welches auf der gegenüberliegende Seite am nächsten am Ufer stand und das Signal hörten, benachrichtigten den Arzt. Der Fährmann begab sich zu seinem Kahn, ruderte nach Lorch und holte ihn, sodass er die Patienten in Notfällen, Krankheiten und auch bei Geburten in den Orten versorgen konnte. Dies auch des öfteren zu Nachtzeiten.

Dr. Schildsohn fuhr von Rheindiebach aus mit dem Fahrrad zu den Patienten, begleitet wurde er von seinem großen Hund. Dieser wurde am Fahrrad angebunden, lief vor dem Rad und half so das etwas höher gelegene Oberdiebach und Manubach schneller und auch etwas bequemer zu erreichen.

Die Mühlen im Diebachtal konnten in der Sommerzeit bei geringem Wasser des Bachlaufes kein Getreide malen. Die Bürger aus dem gesamten Tal mussten dann das Getreide in der Mühle der Familie Kaufmann im Wispertal zu Mehl mahlen lassen. Das Getreide wurde mit dem Handwagen an den Kahn gebracht und dann zur rechten Rheinseite nach Lorch befördert. Von hier aus ging es dann zur Mühle und später mit dem gemahlenen Mehl wieder zurück.

Diese umständliche Arbeitsweise war erforderlich, da die Wisper auch im Sommer oder in der trockenen Jahreszeit noch ausreichend Wasser hatte, um die Mühlräder anzutreiben. Das Wassereinzugsgebiet der Wisper ist bedeutend größer als das des Gailsbaches. Wie der Chronist berichtete, wurde der Kahn auch manchmal überladen. Der Fährmann forderte öfter, einige schwere Säcke mit Getreide wieder auszuladen. Diese konnten erst mit der zweiten Fahrt nach Lorch transportiert werden, was hin und wieder zu Missverständnissen und zum Disput führte, denn jeder versuchte aus Zeitgründen mit dem ersten Kahn zur rechten Rheinseite zu gelangen. Da man auf den Fährmann angewiesen war musste man sich arrangieren und dessen Weisungen befolgen, die auch der eigenen Sicherheit dienten.

Die Metzger aus Lorch kauften auch Vieh auf der linken Rheinseite. Auch dies wurde mit kräftigem Rudern und oder mit Hilfe eines einfachen Segels nach der rechten Rheinseite befördert. Mit der Zeit übernahm Tochter Maria Reitzer geborene Mades, geb. 15.3.1895, die Fähre. Auch sie ruderte den schweren Kahn und hatte für die Personenbeförderung die behördliche Lizenz.

Bei Hochwasser wurde der Kahn in Sicherheit gebracht und mit dem Kuhgespann auf das höhere Ufer gezogen, desgleichen auch im Winter bei strenger Kälte bevor der Rhein total zufror. In dieser Zeit musste der Fährbetrieb eingestellt werden. Sobald der Fluss zugefroren und die Eisdecke tragfähig war, wurde vom Fährmann ein Weg durch das Eis bis nach Lorch gebahnt, indem die dicken Eisschollen umgangen oder zerschlagen wurden. Die Wegegebühr über den Rhein betrug 10 Pfennige, kassiert wurde direkt vom Fährmann am Ufer.

Ab 1933 wurde ein Holzkahn (Nachen) mit einem Motor gekauft, was die Überfahrt wesentlich erleichterte. Der Sohn Hermann führte bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges die Fähre nebenberuflich. Er musste dann zum Militär, und die praktische Verbindung zur rechten Rheinseite wurde eingestellt.