Heimatblatt Nr. 29

Titelbild

600 Jahre - Viertäler-Ratsverfassung 1956
Einzug des Kaisers mit Gefolge anlässlich der 600-Jahrfeier zur Viertäler-Ratsverfassung 1956 (Sammlung Hannelore Kaiser)

Inhaltsverzeichnis

  • 150 Jahre Lang'sche Stiftung
  • Viertälernachrichten
  • Meine Lebensgeschichte - von Maris Larisch - Teil 3
  • 1356 - 1956 Jahre Viertäler-Ratsverfassung
  • Eine Reise in die Vergangenheit
  • Victor Hugos Rheinreise Teil 1   Leseprobe
  • Bacharacher Vorfahren wanderten nach Dänemark aus
  • Bedeutung des Familienamens Saueressig
  • Unsere Fahrt nach Königsberg - Pfingsten 1935   Leseprobe
  • Ein Auswandererbrief aus Brasilien

Leseprobe

Leseprobe  VICTOR HUGOS RHEINREISE (1. Teil)

lesen Sie auch den Zweiten Teil der Rheinreise im Heft 030

"Der Rhein ist der Fluß, von dem alle Welt spricht und den niemand erforscht, den jeder besucht und den keiner kennt, den man im Vorübergehen wahrnimmt und den man schnell vergißt, den jeder Blick streift und der von niemandem geistig durchdrungen wird."
So empfand der französische Dichter Victor Hugo im Jahr 1840 den Rhein.

Rheinromantik

Der Rhein wurde in seiner Funktion als Handelsweg bereits seit römischer Zeit bereist und beschrieben. Die Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts brachte die Bildungsreisenden Francesco Petrarca und Enea Silvio Piccolomini (den späteren Papst Pius II.) an den Rhein. Im 17. Jahrhundert folgten die niederländischen Künstler, und am Ende des 18. Jahrhunderts gehörte dieser Fluss zu den Stationen von Forschern wie Georg Forster und Alexander von Humboldt. Die Darstellungen all dieser Besucher haben eines gemeinsam: Sie wollen naturkundliche, wirtschaftliche und historische Zusammenhänge aufzeigen und zeichnen sich durch eine klare, nüchterne Sprache aus. In den 1770er und 80er Jahren deutete sich in den Rheinbeschreibungen des Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist ein neues Landschaftserlebnis an. Jean Jacques Rousseau (1712-1778) verkündete die Rückkehr zur Natur und glaubte den Menschen in seinem Fühlen und Empfinden untrennbar mit dieser verbunden. Seine Ideen waren Voraussetzung für die aufkommende sentimentale Hinwendung zur Natur, für die Sehnsucht nach einer mit ihren Sagen, Märchen und Mythen, mittelalterlichen Städten und Burgen idealisierten Vergangenheit, die zum zentralen Thema der Dichter und Philosophen avancierte. Die Romantik war geboren. 1802 entdeckte Friedrich Schlegel (1772- 1829) auf einer Reise nach Paris die unberührte, dramatische Schönheit der Rheinlandschaft und gilt seither als geistiger Vater der deutschen literarischen Rheinromantik - einem Zweig der europäischen literarischen Romantikbewegung. Neben der Literatur war es besonders die Malerei, die romantisches Gedankengut in Form von Sagenmotiven und Landschaftsdarstellungen aufgriff (siehe Caspar David Friedrich). In der Baukunst blieb weiterhin der Klassizismus beherrschend, lediglich die im neogotischen Stil errichteten Bauten verraten den romantischen Zeitgeist. Die Beziehung von Natur und Architektur fand ihren deutlichsten Ausdruck in der Gestaltung des englischen Landschaftsgartens. Künstliche Ruinen und neogotische Gebäude wurden in eine scheinbar wilde Natur eingebettet. Der Betrachter sollte sich allerdings im klaren darüber sein, dass kein Detail, keine Blickachse zufällig ist, diese Gärten sind voll durchkomponiert. Die heutige Denkmalpflege mit ihrem Bewusstsein für den Wert alter Kulturgüter wäre ohne die Epoche der Romantik nicht denkbar.

Mit der Aufhebung der napoleonischen Kontinentalsperre 1815 und der Erfindung der Dampfschifffahrt setzte die Reiseflut der Engländer ein, allen voran Lord George Byron (1788-1824), der mit "Child Harold’s Pilgrimage" 1816 den Rhein in England bekannt machte. Aber auch das Siebengebirge, der Taunus, Heidelberg und der Schwarzwald galten als beliebte romantische Reiseziele. Eine der ersten französischen Schriftstellerinnen, die den Rhein besuchten, war Germaine de Staël (1766-1817). Ihre Werke fanden reges Interesse in Frankreich. Alexandre Dumas Père (Autor der drei Musketiere und des Grafen von Monte Christo) wurde auf seiner Rheinreise 1838 von einem der größten Deutschlandverehrer der Romantik, Gérard de Nerval (Autor der "Lorely"), begleitet. Es sollten noch viele berühmte Persönlichkeiten diese Reise auf sich nehmen.

Victor Hugo

1802 als Sohn eines napoleonischen Generals in Besan?on geboren, verbringt Victor Hugo aufgrund der notwendigen beruflichen Flexibilität seines Vaters Teile seiner Kindheit auf Korsika, Elba und in Madrid. Seit 1816 besucht er in Paris das Lycée Louis-le-Grand. In dieser Zeit entstehen erste lyrische und dramatische Werke. Er setzt sich zum Ziel "Chateaubriand zu werden oder nichts". 1822 heiratet er Adèle Foucher. Durch Oden, Gedichte und Romane zieht er die Aufmerksamkeit des Königshauses auf sich und steigt rasch die Karriereleiter nach oben. Er darf als Gast an der Krönungszeremonie von Charles X. in Reims teilnehmen, und man ernennt ihn zum Ritter der Ehrenlegion. Bald schon erhält er Gratifikationen und königliche Pensionen. Aber Victor Hugo ist nicht blind für die Probleme seiner Zeit. Mit seinen sozialkritischen Romanen über den Sklavenaufstand auf Haiti 1791 und mit seinem Pamphlet gegen die Todesstrafe übt er Regimekritik, was eine gewisse Distanzierung von der Monarchie zur Folge hat. 1830 bricht in Paris die sogenannte Juli-Revolution aus. Charles X. wird abgesetzt und muss fliehen. Die Trikolore flattert wieder über den Tuilerien, und der Herzog von Orléans wird als Bürgerkönig Louis-Philippe (1773-1850) Herrscher über Frankreich. Während dieser Wirren schreibt Hugo an dem Roman "Notre Dame de Paris" (verfilmt unter dem Titel "Der Glöckner von Notre Dame"), der 1831 veröffentlicht und einer der wichtigsten Meilensteine seiner Berühmtheit sein wird.

Victor Hugo und der Rhein

1839 unternimmt Victor Hugo mit Juliette Drouet, seiner lebenslang von seiner Frau geduldeten Geliebten, eine Rundreise durch das Elsass, die Schweiz und die Provence. Diese Reise führt ihn über Toul, Nancy, Zabern und Straßburg erstmals an den Rhein.

Auch auf der zweiten Reise im Jahr 1840 begleitet ihn Juliette. Aber diesmal hegt Hugo die Absicht, die Reise literarisch zu verwerten. Vom 29. August bis zum 1. November 1840 sind sie am Mittelrhein und in Süddeutschland unterwegs. Von Köln bis St. Goar genießen sie die Fahrt auf dem Dampfer. Von dort führt ihr Weg weiter nach Mainz, Frankfurt, Worms, Speyer, Heidelberg, das Neckartal und den Odenwald. Über Mosbach, Heilbronn, Stuttgart, Tübingen, die Schwäbische Alb und Tuttlingen gelangen sie schließlich nach Stockach und von da zum Rheinfall bei Schaffhausen. Durch den Schwarzwald kehren beide zurück nach Heidelberg. Über Mannheim, Bad Dürkheim und Kaiserslautern fahren sie auf der üblichen Strecke durch Lothringen und die Champagne nach Paris.

Von St. Goar nach Oberwesel

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Bacharach

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Ausflug ins Rechtsrheinische

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Leseprobe  Unsere Fahrt nach Königsberg - Pfingsten 1935

Unsere Fahrt nach Königsberg

Nach einer Wanderung über den Hunsrück hatten wir die Pfingsttage 1934 in Trier zugebracht. Die Heimreise ging Mosel abwärts. Zuletzt hatten wir in Brodenbach in einer Jugendherberge übernachtet und wanderten von dort über die Nordostspitze des Hunsrücks nach Boppard, wo wir den Dampfer bestiegen. 45 Kinder mit Instrumenten betraten das Schiff. Der Aufforderung: "Spielt mal!" kamen wir gerne nach. Erdbeertörtchen und Limonade wurden reichlich gespendet.

Als ich mich bei einem der Spender bedankte, erhielt ich eine Einladung, nach Königsberg oder Klagenfurt zu kommen. Ich rieb Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, um unsere Mittellosigkeit anzudeuten. "Das lassen Sie mal unsere Sorge sein". Dabei beließ ich es dann auch.

Im Frühjahr 1935 kam dann eine schriftliche Einladung. Im Vertrauen auf die Zusage des Spenders fuhr ich am Dienstag vor Pfingsten nach Köln zur Besprechung. Der eine Herr spendete mir 800 Reichsmark, der andere 600. Ich überschlug rasch die Kosten, für meine Frau und mich 125 Reichsmark, drei oder vier Eisenbahnerkinder bekamen Freifahrtscheine, deren Nutzen allen zugute kommen sollte. Jedes Kind zahlt 5 Reichsmark Reisegeld. 200 Reichsmark hatten wir noch in der Kasse vom letzten Märchenabend des vergangenen Winters, den Rest bekamen wir von der Bacharacher Volksbank zinslos, Rückzahlung im nächsten Winter.

Von Köln ging direkt ein Telegramm nach Manubach: "Morgen Antritt der Reise". 33 Kinder hatten zu packen.

Mittwoch Nachmittag ging’s mit Musik zum Städtel" hinaus auf Fahrt. Mit der Bahn ging’s von Bacharach über Köln nach Berlin, dann nachts nach Swinemünde, wo wir den Dampfer "Ostpreußen" bestiegen. Auf der Ostsee erlebten wir ein Gewitter, das rasch über uns hinwegzog.

Wir erlebten auf dem vollbesetzten Dampfer viel Aufmerksamkeit. Nicht nur wegen unserer Lieder, welche die Masse mitsang, sondern auch wegen der einheitlichen Kleidung: Die Buben im blauen Kittel und schwarzer Hose, die Mädchen in blauen Leinenkleidern, deren Saum mit Margaritenblumen bestickt war, und alle Kinder mit himmelblauen Wollmützen, welche die Großmutter meiner Frau gehäkelt hatte. Das äußerst anständige Verhalten der Kinder fiel besonders auf. Es war noch viel Jugend auf dem Schiff, H.J. und B.D.M. (Pfingstferien).

Ein Herr mit amputiertem Bein - Kriegsverletzung aus dem ersten Weltkrieg - kam zu mir: "Herr Lehrer, ein Kompliment für die Zucht und Ordnung, die bei Ihren Kindern vorherrscht! Ich stifte jedem Kind ein Abendessen." Weil die Kinder bei der Überprüfung ihrer mitgebrachten Lebensmittel (gekochte Eier usw.) schon einen Teil in die Ostsee hatten werfen müssen - ich konnte ja keine Kinder mit verdorbenem Magen mitführen - dankte ich, lehnte das Essen aber nicht ganz ab, sondern bat, es in Danzig zu geben.

Ich erhielt eine Visitenkarte für ein Danziger Hotel. Der Spender war Hermann Freiherr von Lünig, der ehemalige Oberpräsident der Preußischen Rheinprovinz (sein Bruder, ebenfalls Oberpräsident, starb als Opfer des 20. Juli 1944, wie ich hörte).

Im Hafen von Königsberg, von links nach rechts: (505 kB)
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