Heimatblatt Nr. 062

Titelbild

Zirkuswagenbauer Hermann Spiel mit seinen Mitarbeitern in Bacharach in den 30er Jahren (Vereinsarchiv).

Inhaltsverzeichnis

  • Impressum
  • ln eigener Sache
  • Es stand in der Zeitung
  • Ein Bacharacher Totengräbereid des 16. Jahrhunderts (Max Grund)
  • Wilhelm Taudpheus und die fliegende Brücke zu Mannheim (Dagmar Aversano-Schreiber)
  • Jahresbericht des Männer-Gesangvereins Steeg für das Jahr 1923 (Walter Zahn) Leseprobe
  • Der Silberstreifen von Bacharach - Gedicht Leseprobe
  • Auszug aus der Chronik des Diebachtals (Horst Maurer [Zusammenstellung])
  • Von Scharfrichtern und Wasenmeistern im Oberamt Bacharach (Christian Binz)
  • Täufer in Bacharach (Dagmar Aversano-Schreiber)

Leseprobe

Leseprobe  Jahresbericht des Männer-Gesangvereins Steeg für das Jahr 1923 (Walter Zahn)

Wegen der interessanten Schilderung der politischen und wirtschaftlichen Zustände des Jahres 1923 wird hier ein Auszug aus dem Protokoll der Mitgliederversammlung des ehemaligen "MGV 1825 Steeg" wiedergegeben. "Die Generalversammlung fand am 20. Januar 1923 im Schulhaus am Friedhof statt. Der Vorsitzende begrüßte die zahlreich erschienenen passiven und aktiven Mitglieder mit einem ,Prost Neujahr' beim 1922er. Nach dem Jahresbericht wurde zur Erledigung der Tagesordnung geschritten.

So hatten wir unsere Richtlinien für 1923 festgelegt, doch wurden wir bald eines anderen belehrt. Jahre harten Kampfes liegen hinter uns und erneut, als am 10. Januar die Friedensverhandlungen fehlschlugen, setzte man dem Volke am Rhein und an der Ruhr neue Hindernisse seitens der Franzosen in den Weg.

Am 11. Januar setzte der passive Widerstand des deutschen Volkes gegen die Besetzung des ganzen Ruhrgebiets mit seiner Industrie durch die Franzosen und Belgier [ein] und nahmen das ganze Eisenbahnnetz davon in Besitz.

Alle Beamten traten von ihren Posten zurück und wurden aus diesem Grunde in den meisten Fällen mit Hab und Gut sehr oft in wenigen Stunden nach dem unbesetzten Deutschland ausgewiesen. So erging es vielen Beamten der Regierung und auch des zivilen Standes oder auch wurden ihnen schwere Geldstrafen und selbst Gefängnisstrafen zuteil. Die Franzosen brachten ab und zu polternd einen Eisenbahnzug vorwärts mit Militär nach dem Ruhrgebiet. Der Güterverkehr hörte vollständig auf und alles mußte zu Fuß und per Achse auf Wagen und Autos weitergebracht werden. Die Post wurde ebenfalls mit Automobilen und später am Rhein mit Schiffen befördert. So hieß es ,Stille halten und Maul halten', oder es hieß ins Gefängnis wandern oder aber man wurde ausgewiesen. Ein Kommando von 6 bis 7 Mann und einigen Spitzeln versahen den Dienst in Bacharach an der Bahn.

Das kalte, frostige Wetter hielt bis in den Juni hinein an und hatte der Weinstock sehr unter dem Frost und der Ungunst des Wetters gelitten. Die Heuernte, die als gut zu bezeichnen war, kam gut unter Dach und Fach. Desgleichen war das Korn auch einigermaßen gut geraten, während die Kartoffeln sehr knapp ausfielen und vielen Familien Sorgen machten, besonders deshalb, weil die Transportverhältnisse so lagen, daß mit der Bahn nichts herbeigeschafft wurde. Am 24. Oktober wurde mit der vollständig mißratenen Weinernte begonnen und ungefähr 1/10 Herbst durften wir unser eigen nennen. Die Qualität des 1923er kommt der eines mittleren Konsumweines gleich, doch könnte mancher Winzer bequem seine ganze Kreszenz mit wenig Mühe selbst trinken, weshalb auch die meisten Winzer selbst kelterten. Nur wenige Partien Trauben kamen in den Handel. Der Preis dafür betrug für den Zentner 13 bis 15 Mark (Goldwährung). Geerntet wurden in der Steeger Gemarkung ungefähr 40 bis 45 Fuder. Der Handel in Wein lag sozusagen still, auch hielt ein jeder soviel wie möglich, der Geldentwertung wegen, die seit Beginn des passiven Widerstandes ins unendliche fortgeschritten war, zurück. Verkauft wurden die 1922er zu Anfang des Jahres mit 250.000, 300-400.000 Mark, und in der Versteigerung im Juni der ,Vereinigten Bacharacher und Steeger Winzer' mit 15 bis 28 Millionen Mark.

Am 25. Oktober läutete es Sturm, weil man befürchtete, daß Sonderbündler ihren Einzug halten könnten, die sich seit längerer Zeit in den Städten des französisch besetzten Gebietes eingenistet hatten, um sich die öffentliche Gewalt anzueignen. Die Papiermark war bis in die Billionen gestiegen, man mußte bei ihrem niedrigsten Stande 1 1/2 Billionen Papiermark besitzen, um eine Goldmark sein eigen nennen zu dürfen. Gegen Ende des Jahres wurden die ersten Weinverkäufe in Goldmark mit 700 Mark getätigt. Man konnte nun wieder etwas zur Sparkasse bringen, während sich vordem alles auf der Kasse selbst verzehrte. Verarmt und verelendet standen viele unserer Bürger da, so daß man sich ernste Gedanken um einen Sarg machen mußte. Hoffen wir, daß uns im Jahr dieses Brot verdientermaßen wachsen möge und daß wir es in Freiheit genießen können. Wir stehen an der Wende des Jahres 1923 und wie es scheint, auch an einer Schicksalswende des deutschen Volkes.

Drum tön es auch im neuen Jahre von West gen Ost, von Süd und Nord; Deutsch das Lied und deutsch der Wein, deutsch das Herz am deutschen Rhein."

Leseprobe  Der Silberstreifen von Bacharach - Gedicht

"Ist es der Mond, der seinen Schein Silbern ergießt über Berge und Rhein? Ist es der Wein, der mich bewegt, Tröstliche Stimmung aufs Herz mir legt? Heimatlich Bild urwüchsiger Stadt, Bist du es, das mich ergriffen hat?

Ist es das Haus, das mein Gemüt Wundersam in Gedanken durchzieht? Sind es die Menschen in diesem Ort, Die in mir klingen bei jedem Wort? Ist es das zarte Frauenbild, Das mir als glückliches Schicksal gilt?

Ich weiß es nicht, - es mag auch sein Schimmernde Luft über deutschem Rhein, Streifen so licht, der durchflutet den Raum Über dem Strom, wie ein Silbertraum, Der mich erfüllt und meinen Geist Lange ersehnte Wege weist.

Himmlische Ruhe! - nach stürmischer Zeit Atmet die Seele Zufriedenheit.

Burg Stahleck 1930