Heimatblatt Nr. 061
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Inhaltsverzeichnis
Leseprobe
Ein wieder aufgetauchter Rentenbrief des Spätmittelalters und seine Bedeutung für das Viertälergebiet (Max Grund)
Fragen des Kulturgutschutzes sind für die Erforschung von Geschichte stets von großer Bedeutung.1 Erst kürzlich haben die Fluten an der Ahr oder die vielen Waldbrände einer breiteren Bevölkerung wieder ins Gedächtnis gerufen, dass es nicht selbstverständlich ist, in gebändigter Natur zu leben. Besonders das Ahrhochwasser war hierbei nicht nur für die Menschen, sondern auch die schriftliche Überlieferung der Region verheerend. Ganze Stadtarchive wurden ein Raub des Wassers. Der Grad ihrer Wiederherstellbarkeit ist noch ungewiss. Doch droht den Schriftquellen, aus denen wir unser aller Herkommen und die Geschichte der Heimat rekonstruieren, nicht nur von Seiten der Natur Gefahr. Auch der Mensch selbst hat seit jeher einen großen Anteil daran, dass historische Quellen verloren gehen. Dies kann mit gezielter Vernichtung zu tun haben, mit mangelnder Pflege oder aber mit Habgier und Entfremdung aus den eigentlichen Archiven und Gedächtnisinstitutionen.
Auch die Überlieferung der alten Stadt Bacharach und des Viertälergebietes ist auf vielfältige Weise von Überlieferungsverlust geprägt. Über die vielen Kriegsheere, die Bacharach heimsuchten, muss an dieser Stelle nicht erneut berichtet werden. Auch die früheren Rathausbrände von Bacharach (1730) aber auch Steeg (1762) sind unterdessen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.2 Besonders diesen Bränden dürften auch Teile der historischen Archive des Viertälergebietes zum Opfer gefallen sein. Doch gab es manche Archivalie, die unter großer Gefahr auch aus diesen Feuersnöten gerettet wurde, was nicht zuletzt die dem Archiv zugeschriebene Wertschätzung der Einwohner und Einwohnerinnen und der Verwaltung ganz deutlich vor Augen führt. Historische Dokumente dienten früher schließlich nicht nur der interessierten Geschichts- und Heimatforschung, sondern allen voran der Bewahrung und Durchsetzung ganz handfester Rechte und Ansprüche
Besonders wichtig für die Dokumentation von Rechten und Privilegien waren hierbei die bei Verleihung und Bestätigung ausgestellten Urkunden. Auch die Bacharacher besaßen solche Urkunden und retteten einen beträchtlichen Teil dieser Dokumentenart auch durch die Wirren und Verwürfnisse der Jahrhunderte. Doch findet man sie heute zu großen Teilen nur noch abschriftlich, die Originale sind verschollen. Was ist also passiert? Das Bacharacher Stadtarchiv nahm bekanntlich gleich dem Oberamtsarchiv in verschiedenen Tranchen seinen Weg in das heutige Landeshauptarchiv Koblenz. Auch die Bacharacher Urkunden und viele historische Ortsansichten sollten diesen Weg nehmen.
Leider scheint es dazu nicht gekommen zu sein, da sie bereits vor 1957 auf unbekanntem Weg verloren gegangen zu sein scheinen. Der damalige Stadtarchivpfleger Gerhard Bürger konnte bei der Übergabe des Depots an das Landeshauptarchiv schon nur noch den Verlust der betroffenen Archivalien feststellen.3 Auch in der aktuellsten Verzeichnung des Bestandes 613 kann nur auf ihr Abhandenkommen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwiesen werden.4 Bis heute sind die Urkunden und Ortsansichten nicht wiederaufgetaucht. Ihr Verbleib ist unklar.
Durch den Verlust quasi der gesamten Bacharacher Urkundenüberlieferung kommt jedem anderweitig überlieferten Schriftstück eine umso größere Bedeutung zu. Aus dieser Notwendigkeit wäre etwa die Erarbeitung eines Urkundenbuchs für das Viertälergebiet eine verdienstvolle Aufgabe, würde es doch die sehr verstreut und teilweise schwer zugängliche Überlieferung einfacher nutzbar machen und damit der historischen Erforschung der Viertäler sicherlich einen Schub verleihen. Doch soll es um ein solches Projekt an dieser Stelle nicht gehen.
Viel mehr ist mir bei meinen Recherchen zur Bacharacher Geschichte ein Stück untergekommen, das der Forschung bisher unbekannt gewesen sein dürfte.5 Bezeichnenderweise befindet es sich auch nicht im Bestand einer öffentlichen Gedächtnisinstitution, sondern in Privathand. Beim Onlineantiquariat "muellerbooks" stieß der Autor im August 2022 auf einen dort für 1.700 Euro zum Kauf angebotenen Rentenbrief aus dem spätmittelalterlichen Bacharach.6 Da zum Zeitpunkt des Auffindens seine Bewahrung noch ungewiss war und die zur Werbung online bereitgestellten Bilder es in ihrer Qualität hergaben, entschied sich der Autor zur einer Edition des besagten Rentenbriefs. Auch wenn dieses Stück Geschichte des Viertälergebietes - denn die Urkunde betrifft tatsächlich auch Steeg - möglicherweise materiell nicht dauerhaft gesichert werden kann und wieder in Privathand verschwindet, soll doch wenigsten der historische Inhalt gesichert werden. Die Edition des Urkundentextes findet sich im Anhang. Bei der äußeren Beschreibung musste sich auf die Beschreibung auf der Seite des Antiquariats verlassen werden, die Rückseite der Urkunde war leider nicht einsehbar. Die Urkunde ist auf den 2. Januar 1470 datiert und nennt keinen konkreten Ausstellungsort, wenn als letzterer auch Bacharach anzunehmen ist.7 In ihr beurkunden die beiden Schöffen Johann Elias und Jacob Eberhart den Verkauf eines ewigen Zinses von 20 Weißpfennig Bacharacher Münze durch den Steeger Bürger Heinrich Stulghin an den Junker Ulrich Meytzenhuser (wohl Metzenhausen) und dessen Erben. Der Zins liegt auf einem Weingarten zu Steeg vor der Mühle zwischen Sellen Clas zu Rhein und Peter Keiser zu Walde. Die Zuschreibungen zu beiden Nachbarn dürften keine Herkunftsbezeichnungen, sondern höchst wahrscheinlich Verortungen sein. Sellen Clas hatte seinen Weinberg also von Heinrich Stulghin aus gesehen rheinseitig und Peter Keiser den seinen in Richtung Wald. Der Zins ist jährlich auf Weihnachten zu entrichten, wobei eine Karenz von sechs Wochen unter Schadloshaltung des Gläubigers eingeräumt wird. Falls der Zins bis dahin nicht gereicht wurde, soll sich der Gläubiger an besagtem Weinberg schadlos halten und diesen genießen als wäre er bereits vor dem Bacharacher Gericht rechtmäßig eingeklagt worden. Für den genannten Heinrich Stulghin aus Steeg setzen die beiden Schöffen jeweils ihre eigenen Siegel zur Beglaubigung an die Urkunde.Zunächst lässt sich bezüglich des Urkundeninhalts feststellen, dass es sich um einim Mittelalter durchaus nicht ungewöhnliches Geschäft handelt. Ebenso wie heute konnte auch im Mittelalter das frei umlaufende Münzgeld die benötigte Liquidität der Zeitgenossen nicht decken. Als Reaktion darauf wurden Wechselgeschäfte eingeführt. Aber auch normale Kreditgeschäfte oder eben Zinsverkäufe waren allerorten anzutreffen. Ein für den Schuldner besonders ungünstiges Geschäft war der ewige Zins, wie wir ihn auch hier vor uns haben. Wie im Text ersichtlich, gab es für diesen in der Regel nämlich keine Ablösemöglichkeit, er war also buchstäblich auf ewig zu leisten.
Auch die Ausstellertätigkeit der Bacharacher Schöffen ist kein ungewöhnlicher Akt. Derlei Urkunden haben sich mit unterschiedlichen Provenienzen im Koblenzer Landeshauptarchiv in größerer Stückzahl erhalten und stellen wichtige Quellen für die Geschichte Bacharachs im Spätmittelalter dar.
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