Heimatblatt Nr. 054

Titelbild

Kranentor Bacharach, August 1834, Elizabeth Rigby (Lady Eastlake), (1809 - 1893), 28,0 x 20,2 cm, Graphit und Wasserfarben auf Papier, Tate Collection London, Inv.-Nr. T09759

Inhaltsverzeichnis

  • ln eigener Sache
  • Es stand in der Zeitung
  • Eine geheime Besprechung im Hotel Herbrecht Leseprobe
  • Feuerverordnung von 1612
  • Aus Theodor E. Hilgards Erinnerungen an Bacharach
  • Kirmesgedicht
  • Warum feiern wir Halloween?
  • Ein Vampir in Bacharach?
  • Ein Dokument aus der Inflationszeit im Jahr 1924

Leseprobe

Leseprobe  Dr. Dagmar Aversano-Schreiber: Eine geheime Besprechung im Hotel Herbrecht

Das XXI. Armeekorps wurde am 10. August 1939 im Wehrkreis I in Ostpreußen aufgestellt. Der kommandierende General war Nikolaus von Falkenhorst, Erich Buschenhagen war Chef des Generalstabes. Nachdem Deutschland am 1. September 1939 Polen überfallen und am 6. Oktober 1939 die polnischen Streitkräfte kapituliert hatten, wurde das Armeekorps im November an die Westfront verlegt und der Stab bezog sein Hauptquartier in Bacharach. Von Falkenhorst, Buschenhagen, der erste Generalstabsoffizier, Oberstleutnant Hartwig Pohlmann, und ca. 25 Ordonnanzoffiziere beschlagnahmten das Hotel Herbrecht und errichteten dort ihr Hauptquartier mit Schreibstuben und Wohnräumen. In einem handschriftlichen Manuskript vom 23. August 1941, das im Archiv des Vereins aufbewahrt wird, berichtet der unbekannte Verfasser, dass der Winter 1939/40 eisig kalt und schneereich war, was an die Bürger von Bacharach bezüglich der Unterbringungsmöglichkeiten des Stabes und des Bataillons große Anforderungen stellte, die allerdings trotz aller Schwierigkeiten gemeistert wurden. Dies lässt den Schluss zu, dass zumindest ein Teil der Soldaten in der Stadt privat untergebracht war. Der Verfasser vergisst nicht zu erwähnen, dass der "Bacharacher" gut geschmeckt habe. Da, als Reaktion auf den Angriff auf Polen, am 3. September Frankreich und Großbritannien Deutschland den Krieg erklärt hatten, bereitete man sich nun auf eine Offensive im Westen vor. Von Bacharach aus reisten die verantwortlichen Übungsleiter zum Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz, wo die Truppen des XXI. Armeekorps stationiert waren. Dort hatte man naturgetreu einen Abschnitt der Maginot-Linie mit ihren Bunkern nachbauen lassen, um Schwachstellen auszuloten und neue Angriffsmöglichkeiten auf diesen mächtigen Verteidigungswall zu testen. Im Mai 1940 würde ein Teil der Wehrmachtsverbände - wie von den Alliierten vorausgesehen - ihren Weg durch Belgien nehmen. Die schnellen Panzerdivisionen würden jedoch völlig unerwartet durch die schwach verteidigten Ardennen im Grenzgebiet zwischen Frankreich, Belgien und Luxemburg, brechen und so erfolgreich die Maginot- Linie bei Sedan umgehen.

Am 20. Februar 1940 befanden sich die Offiziere mitten in einer Besprechung in Grafenwöhr1 und arbeiteten konzentriert an der bevorstehenden Westoffensive, als ein Motorrad hielt und ein Ordonnanzoffizier General von Falkenhorst Meldung machte, dass er ein Telegramm aus Berlin zu überbringen habe. Falkenhorst solle sich schnellstmöglich in der Reichskanzlei melden. Die Nachricht löste allgemeines Erstaunen aus. Wollte Hitler einen Bericht über den Stand der Dinge haben? Aber warum die Eile? Bereits am nächsten Nachmittag brach der General nach Berlin auf. Am 22. Februar erhielt Erich Buschenhagen ein Telegramm von Falkenhorst, er solle so schnell wie möglich nach Bacharach zurückkehren, es habe sich eine neue Situation ergeben. Buschenhagen übertrug Oberstleutnant Pohlmann die Leitung und fuhr am Morgen des 23. Februar nach Bacharach.

Als er gegen Abend das Hotel Herbrecht betrat, quietschten vor der Tür die Bremsen eines Autos und Falkenhorst stieg aus. Der General ließ sofort das Hotel und die direkte Umgebung absperren, damit niemand etwas von dem folgenden Gespräch mitbekommen konnte. Gespannt blickten die Offiziere auf Falkenhorst, der nur zwei Sätze sagte: "Halten Sie sich fest! Wir werden Norwegen okkupieren!" Wieso Norwegen? Zu Beginn des Krieges spielten Überlegungen, für die Kriegsmarine in Norwegen Stützpunkte zu gewinnen eine entscheidende Rolle. Ziel war es, sich Zugang zur Ostsee zu verschaffen und die Seeherrschaft über die nordischen Handelswege zu erlangen. Großadmiral Erich Raeder drängte Hitler zur Besetzung Norwegens und wollte damit Großbritannien zuvorzukommen. Die Sowjetunion hatte am 30. November 1939 den sowjetisch-finnischen Winterkrieg begonnen. Die skandinavischen Staaten wollten Neutralität in diesem Konflikt wahren. Großbritannien sah eine Möglichkeit, im Zuge der Unterstützung Finnlands den Einfluss auf die skandinavischen Staaten zu vergrößern und freien Durchzug durch Norwegen und Schweden für Truppen und Gerätschaften zu erlangen und gleichzeitig das Deutsche Reich von den Rohstoffquellen abzuschneiden. Der Winterkrieg fand aber mit dem Frieden von Moskau am 13. März 1940 ein Ende und damit waren auch die Vorhaben auf alliierter Seite hinfällig. Am 16. Februar 1940 kam es jedoch zu einem Vorfall, der befürchten ließ, dass Norwegen seine Neutralität gegenüber Großbritannien nicht geltend machen wollte oder konnte. Das mit zwei Flugabwehrkanonen bewaffnete Trossschiff der deutschen Kriegsmarine, die Altmark, versorgte das deutsche Panzerschiff Admiral Graf Spee im Nordund Südatlantik. An Bord befanden sich 303 britische Seeleute, die von den Schiffen stammten, die die Admiral Graf Spee aufgebracht hatte. Der Altmark war es gelungen, die britische Seeblockade zu durchbrechen und Trondheim zu erreichen. Zweimal wurde das Schiff von zwei norwegischen Torpedobooten kontrolliert, ohne dass man die Kriegsgefangenen entdeckte. Die Briten wussten aber von den versteckten Kriegsgefangenen und konnten - vermutlich aufgrund des lebhaften Funkverkehrs - das Schiff orten. Auf der Höhe von Egersund kamen drei britische Zerstörer in Sicht. Um der Kaperung zu entgehen, zog sich Kapitän Dau in den teilweise vereisten Jøssingfjord zurück. Die norwegischen Torpedoboote, der Begleitschutz der Altmark, hatten Anweisung, sich längsseits des Schiffes zu legen, um ein Entern durch die Briten zu verhindern. Der Befehl wurde wiederrufen und die Norweger beschränkten sich gegenüber den Briten auf Protest. Kurz vor Mitternacht lief der britische Zerstörer Cossack in den Fjord ein, legte sich längsseits und enterte das Schiff. Bei dieser Aktion starben sieben deutsche Matrosen. Die norwegische Marine kam den Deutschen nicht zu Hilfe und die Cossack kehrte mit den befreiten Soldaten nach England zurück. Daraufhin plante Hitler unter dem Decknamen Weserübung den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Norwegen und Dänemark. Norwegische Häfen sollten besetzt werden, um den Zugang zur Ostsee und die Eisenerz- Versorgung der deutschen Rüstungsindustrie aus den Minen von Kiruna in Schweden über den norwegischen Hafen Narvik zu sichern. Dies war die Situation, als am 21. Februar General von Falkenhorst zusammen mit dem Staatssekretär von Hermann Göring im Luftfahrtministerium, Generalkommandant Erhard Milch, und einem anderen SA-Mann die Reichskanzlei betrat. Paul Nikolaus von Falkenhorst war am 17. Januar 1885 in Breslau unter dem Namen Nikolaus von Jastrzembski als Nachkomme einer alten schlesischen Adelsfamilie geboren worden. Die preußische Genehmigung zur Namensänderung unter Anerkennung des bisher geführten Adels und Wappens erhielt er als Leutnant im Grenadier- Regiment Nr. 7 am 6. Juni 1911 im Neuen Palais bei Potsdam. 1908 heiratete er Margarete Dorette Elise Ulrich. Er kletterte rasch die Karriereleiter nach oben. Vom Leutnant zum Oberleutnant, vom Hauptmann zum Ersten Generalstabsoffizier im Sommer 1918 in Finnland und schließlich zum General der Infanterie im Polenfeldzug. Er war Träger des Eisernen Kreuzes beider Klassen. Und so wird dem erfahrenen Soldaten Nikolaus von Falkenhorst von Adolf Hitler sowie dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, und dem Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Alfred Jodl, der Oberbefehl über die Bodentruppen der Operation Weserübung übertragen. Das XXI. Armeekorps wurde in die Armee-Gruppe XXI umbenannt und dem Oberkommando der Wehrmacht direkt unterstellt. Die Geheimhaltung der Pläne hatte oberste Priorität. Noch bevor er nach Bacharach zurückkehrt, kauft sich Falkenhorst in einem Buchladen einen Reiseführer durch Norwegen, denn das Land ist ihm fremd. Anhand einer Landkarte skizziert er, wo die deutschen Truppen eingesetzt werden sollen. Nachdem er seine Männer in Bacharach in die geheimen Pläne eingeweiht hat, reist Falkenhorst sofort mit einigen ausgewählten Stabsoffizieren - darunter Erich Buschenhagen - nach Berlin ab, wo sie im Hotel Esplanade übernachten und am 26. Februar im Bendlerblock, abgeschirmt von allem, zusammen mit einigen Mitarbeitern von Theodor Krancke, Kommandant des Panzerschiffes Admiral Scheer und späterer Admiral, die genauen Pläne ausarbeiten. Hitler genehmigt sie und teilt ihm fünf Divisionen zu. Im Focus standen Narvik, Trondheim, Bergen und Stavanger, Kristiansand, Egersund, Arendal und Oslo. Dänemark und Norwegen waren neutral. Dänemark hatte 1939 als einziges nordeuropäisches Land einen Nichtangriffspakt mit Deutschland abgeschlossen. Dennoch erschien es als Nachschubweg unverzichtbar. Man stellte daher beiden Staaten ein Ultimatum, zu kapitulieren und sicherte ihnen zu, in diesem Fall ihre territoriale und politische Integrität unangetastet zu lassen. Dänemark leistete wenig Widerstand und akzeptierte. Norwegen lehnte ab. In der Schlacht um Narvik erlitt die deutsche Wehrmacht eine erste Niederlage. Doch Anfang Mai war der Widerstand gebrochen und Norwegen unterschrieb am 10. Juni 1940 die Kapitulation. Falkenhorst wurde am 18. Dezember 1944 von Lothar Rendulic abgelöst und geriet bei Kriegsende in britische Gefangenschaft. Am 2. August 1946 wurde er von einem britisch-norwegischen Militärgericht wegen Kriegsverbrechen zum Tod durch Erschießen verurteilt. Nun sollte es sich auszahlen, dass er sich 1941 zusammen mit dem schwedischen Geographen und Forschungsreisenden Sven Hedin erfolgreich bei Hitler für die Begnadigung von zehn Norwegern eingesetzt hatte, die wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt werden sollten. Ihre Strafe wurde schließlich in Zwangsarbeit umgewandelt. Nun setzte sich Sven Hedin für Falkenhorst ein und dessen Todesstrafe wurde durch zwanzig Jahre Haft ersetzt. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes wurde er am 13. Juli 1953 vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Werl entlassen und durfte zu seiner Familie in Holzminden heimkehren, wo er am 18. Juni 1968 verstarb.

Während eines Telefonats im März 2018 erinnerte sich Frau Anneliese Klein aus Bacharach an die Zeit der Besatzung des Hotels Herbrecht, das ihre Großeltern betrieben hatten. General Falkenhorst kannte sie persönlich und war ihm sehr zugetan, sie hatte auf seinem Schoß gesessen, als sie neun Jahre alt war. Er schrieb ihr Briefe aus Norwegen und schickte ihr einige Fotoalben. Bedauerlicherweise sind diese Dokumente noch während der Kriegszeit verloren gegangen. Es soll ein Foto von der Weihnachtsfeier im Hotel aus dem Jahr 1939 geben, auf dem Falkenhorst und die Mitarbeiter seines Stabes zu sehen sind. Vielleicht findet sich dieses Foto irgendwann. Leider ist Frau Klein im Oktober 2018 im Alter von 88 Jahren gestorben. Dass die Wahl der Militärs auf Bacharach fiel, hat sicher weniger strategische Gründe, sondern ist wohl eher der Schönheit und der angenehmen Lage des Ortes geschuldet. So kam es, dass Bacharach und das Hotel Herbrecht in die militärischen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, insbesondere in die Vorbereitungen des Norwegen-Feldzuges involviert wurden.

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