Buch

Die Reformation im Vierthälergebiet

Redaktion :

Christian Binz

Herausgeber und Verleger:

Verein für die Geschichte der Stadt Bacharach und der Viertäler e. V.
in Zusammenarbeit
mit der Evangelischen Kirchengemeinde Vierthäler

Reproduktion und Layout:

Christian Binz, Bacharach

Druck:

PSL Printservice Listl, 55411 Bingen

Erschienen

2017

ISBN

978-3-928022-20-0

Seiten

172

Preis:

7,00 EUR

Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort Leseprobe
  • Christian Binz | Einleitung: Die Reformation im Vierthälergebiet
  • Silvia Seidler | Zeitzeugen der Reformation: die historischen Kirchen unserer Kirchengemeinde
  • Oskar Greven | Geliebt - erlöst - befreit : Martin Luthers Entdeckung der Gnade
  • Oskar Greven | Reformation - hinter uns oder vor uns?
  • Josef Johannes Schmid | "Was heißt eigentlich evangelisch?" - bekannte und weniger bekannte Elemente des klassischen Luthertums
  • Christian Binz | Am Anfang war das Wort - Bücher der Kirchengemeinde
  • Christian Binz | Orgeln im Spiegel der Reformation im kurpfälzischen Oberamt Bacharach
  • Timm Harder | Predigt im Jubiläumsgottesdienst an Misericordias Domini 2017 Leseprobe
  • Dagmar Aversano-Schreiber | Historisches Abendmahlsgerät der Kirchengemeinde Vierthäler
  • Friedrich Ludwig Wagner (†), Reinhold Maus (†), Sabine Zahn (Zusammenstellung) | Neuauflage der Schriften zu Reformationsjubiläen 1958 und 1996
  • Autorenverzeichnis
  • Terminübersicht Reformationsjubiläum 2017

Leseprobe

  Leseprobe  Vorwort

"Reformation" - dieses Wort lateinischen Ursprungs bedeutet Wiederherstellung, Erneuerung. Es geht um den Versuch, eine Institution durch einen Rückgriff auf ihre Ursprünge in ihrem Wesen zu erneuern.

Dieser allgemeine Begriff ist in der europäischen Geschichte eng verknüpft mit der Bewegung, die Martin Luther mit dem Anschlag seiner 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517 ins Leben rief. Sein Ziel war die Erneuerung seiner römisch-katholischen Kirche. Dies ist ihm nicht gelungen. Stattdessen kam es zur Kirchenspaltung, die so niemand wollte.

Wenn die Evangelische Kirche in Deutschland in diesem Jahr 500 Jahre Reformation feiert, feiert sie nicht diese Spaltung. Wir sind froh, dass wir heute - anders als bei den runden Jubiläen in vorigen Jahrhunderten - dieses Fest vielerorts gemeinsam mit unseren katholischen Schwestergemeinden feiern können. Bei allem, was uns noch trennen mag: Wir wissen uns heute einig in dem Auftrag, den Jesus Christus seiner Kirche gegeben hat, nämlich den Menschen in Wort und Tat die frohe Botschaft von der Gnade Gottes zu verkünden und sie einzuladen zu einem Leben mit Sinn, Substanz und ohne Ende.

Unsere Kirchengemeinde hat sich darum mit einem Jahreszyklus an verschiedenen Veranstaltungen an den Feierlichkeiten im Rahmen des Reformationsjubiläumsjahres beteiligt, in Form von Vorträgen, Konzer-ten, Ausstellungen und Führungen.

Mit dieser Festschrift halten wir Rückschau auf diese Ereignisse und möchten Ihnen die Möglichkeit geben, verschiedene Dinge noch einmal nachzulesen. Den Abschluss bildet eine Neuauflage der Festschriften zu den Reformationsjubiläen in den Jahren 1958 und 1996.

Unser herzlicher Dank gilt dem Verein für die Geschichte der Stadt Bacharach und der Viertäler e.V. für die hervorragende Zusammenarbeit und das außerordentliche Engagement bei der Gestaltung sowohl dieses Festjahres als auch dieser Festschrift!

Bacharach, am 31. Oktober 2017

Timm Harder
Pfarrer und Vorsitzender des Presbyteriums
der Evangelischen Kirchengemeinde Vierthäler

  Leseprobe  Predigt im Jubiläumsgottesdienst Misericordias Domini 2017

Der Gottesdienst am Sonntag Misericordias Domini (30. April) 2017 in der Peterskirche zu Bacharach wurde als Jubiläum "Erster evangelischer Gottesdienst im Vierthälergebiet" mit einer Taufe gefeiert. Die Predigt wurde zu der alttestamentlichen Bibelstelle des Kapitels 34, Verse 11-12, aus dem Buch Ezechiel in Verbindung mit dem Evangelium nach Johannes Kapitel 10, Verse 11 und 28, gehalten:

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde! Vielleicht fragen Sie sich, was wir da eigentlich heute genau feiern: "Erster Evangelischer Gottesdienst im Vierthälergebiet".

Dazu zunächst der historische Hintergrund: Seit Luther 1517 seine Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen hatte, war es in allen deutschen Fürstentümern, Grafschaften und Städten am Brodeln. Seine Kritik am Papsttum und am Zustand seiner Kirche sowie seine theologischen Gedanken verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Schon 1527 war St. Goar evangelisch geworden - fast 20 Jahre, bevor es hier soweit war. Das lag daran, dass St. Goar dem Landgrafen von Hessen gehörte, der sich früh der neuen Lehre angeschlossen hat, während das Vierthälergebiet zur Kurpfalz gehörte. Und deren Herrscher waren lange zurückhaltend, was die neue Lehre anging. Mitte der 1540er Jahre änderte sich das. Die Einführung reformatorischer Neuerungen erfolgte quasi per Dekret. So kam es 1546 am 2. Sonntag nach Ostern - am Sonntag Misericordias Domini - zum ersten evangelischen. Gottesdienst hier in der Peterskirche. Damit das mit den neuen Liedern in deutscher Sprache auch klappte, hat man extra Sänger aus Kaub und St. Goar mitgebracht.

Vier Punkte umfasste die per Befehl umgesetzte neue Kirchenordnung der Pfalz: 1. Das Abendmahl sollte mit Brot und Wein gefeiert werden; nicht mehr nur mit Brot. 2. Kinder sollten nicht mehr in lateinischer, sondern in deutscher Sprache getauft werden nach evangelischer Ordnung. 3. Trauungen sollten auf Deutsch vollzogen werden. Und 4. (ich zitiere:) sollten sich Priester, wann sie die Gaben der Enthaltung nicht hätten, in den Ehestand begeben.1 Das sind zunächst mal eher Äußerlichkeiten. Stellt sich die Frage: Was ist evangelischer Gottesdienst inhaltlich?

Dazu zwei Dinge vorweg: 1. Bitte erwarten Sie keine vollständige und alles umfassende Antwort zu dieser Frage von mir. Das würde den Rahmen einer Predigt sprengen. Denn Sie wissen ja: Ein Pfarrer darf über alles predigen, bloß nicht über 20 Minuten.

Und das andere: Wenn wir die Frage: "Was ist evangelisch?" beantworten wollen, dann können wir das heute nicht mehr einfach nur in Abgrenzung zur katholischen Kirche tun. Dafür haben wir uns inzwischen viel zu sehr angenähert. Im Übrigen ist es sowieso eine Unart, sich permanent über die Abgrenzung gegen andere zu definieren. Also platt gesagt: Evangelisch ist, wer gegen die Katholiken ist. Deutscher ist, wer gegen Ausländer ist. Diebacher ist, wer gegen Manubach ist, und Steeger, wer gegen Bacharach ist. Wieso brauchen wir für unsere Identität immer ein Feindbild?!

Das Evangelium hat das nicht nötig. Wir sind "Protestanten", liebe Gemeinde. Menschen, die für etwas stehen, für etwas Zeugnis geben. Keine "Contratestanten", deren einziges Credo "Dagegen!" heißt. Die grundsätzlich gegen alles sind, ohne selbst inhaltlich was liefern zu können. Wir haben inhaltlich was zu liefern: Das Wort Gottes. Gottes Liebeserklärung an die Menschen. Das ist es, was eine Evangelische. Kirche auszurichten hat. In Wort und Sakrament. Deswegen ist es schön, dass wir in diesem Gottesdienst eine Taufe haben, weil in der Taufe genau diese Liebeserklärung Gottes so konkret wird.

In der Taufe wird Dir, lieber Täufling (hier wurde der tatsächliche Name des Täufling genannt), zugesagt: "Du bist ein geliebtes Geschöpf Gottes!" Was Du bist und was Du hast, verdankst Du Seiner Gnade. Du stehst unter Gottes persönlichem Schutz. Und Du trägst Seine Verheißung bei Dir. Eine Verheißung, die Dich vor dem Mordsstress bewahrt, den man hat, wenn sich das Leben in den paar Jahrzehnten zwischen Kreißsaal und Friedhofskapelle erschöpft. Wenn man meint, man müsste alles rausholen, weil es am Ende heißt: "Das war's!" Wenn Gott Seine Liebe erklärt, dann steht da kein Verfallsdatum dran. Diese Liebe reicht über unseren Tod hinaus. Und damit ist der erledigt. Gott hat danach noch was mit uns vor.

Evangelisch kommt von Evangelium, Evangelium heißt "Frohe Botschaft", und wenn das keine frohe Botschaft ist, liebe Gemeinde, dass wir geliebte Geschöpfe sind und keine genetischen Zufallsprodukte, dass wir unbedingt geliebt sind, also ohne Voraussetzungen, unabhängig von dem, was wir zu leisten im Stande sind, und dass wir Zukunft haben - mehr, als wir uns je vorstellen können ... Wer das für sich glauben kann, braucht zur Vergewisserung seiner Identität keine Feindbilder mehr.

Ich halte diese evangelische Wahrheit für ausgesprochen wichtig in einer Zeit, in der religiöse und politische Strömungen Zulauf gewinnen, die genau das tun: Identität generieren durch Feindbilder. Dass sie so viel Zulauf haben, liegt aus meiner Sicht begründet in einer großen Orientierungslosigkeit. Die Welt ist unübersichtlich geworden. Und dann sucht man eben nach einem, der einem sagt, was man zu denken, zu glauben und zu tun hat. Nach dem Prinzip: "Führer, befiehl, wir folgen!" Gerade diese Fremdsteuerung, dieser Schrei nach Führertum, ist reformatorisch überwunden. Keine Bevormundung mehr durch Papst, Kaiser und Kirche damals, keine Bevormundung durch wen oder was auch immer heute.

Dieser protestantisch-herrschaftskritische Ansatz knüpft an das an, was wir eben in den beiden Lesungen gehört haben: Gott setzt die korrupten Hirten / Führer ab und übernimmt selbst die Hirtenfunktion. Dieses Versprechen hat Gott eingelöst in Jesus. In Ihm hat er sich sozusagen unter die Herde gemischt, ist einer von uns geworden. Jesus sagt: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.3 Das unterscheidet Jesus von all den selbst ernannten Herrschern. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Das ist Seine Art zu herrschen. Er will unser Bestes. Nicht von uns, sondern für uns. Ich gebe ihnen das ewige Leben.4 Das ist die zentrale Botschaft des Evangeliums, liebe Gemeinde. So weit geht Gottes Liebe zu uns, dass Er dafür alles gegeben hat: sich selbst.

Weil er das getan hat, steht nichts und niemand mehr zwischen Ihm und uns. Jeder Mensch darf und soll ein unmittelbares, direktes Verhältnis zu Gott haben. Er wünscht sich uns als mündige Menschen, die Verantwortung für ihr Leben übernehmen und für die Welt, in der sie leben. Der einzige Vermittler ist Christus, Solus Christus, Christus allein.5 Das war ein, wenn nicht das Kernanliegen der Reformation: Christus allein. Wir sollen den hören, der uns kennt. Nach Seinem Wort fragen und Ihm folgen. Das ist das Kernanliegen eines evangelischen Gottesdienstes. Und der hört an der Kirchentür nicht auf, sondern geht draußen weiter. Jesus folgen heißt nämlich, Seine Liebe auch anderen Menschen erfahrbar zu machen. Weil wir damit wohl nie fertig werden, ist dieses Fest heute nicht nur ein Anlass, dankbar zurückzuschauen, sondern es erinnert uns auch an einen bleibenden Auftrag. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.