Buch
75 Jahre Weinlesefest in Bacharach
Autor : |
Reinhold Maus |
Herausgeber und Verleger: |
Verein für die Geschichte der Stadt Bacharach und der Viertäler e. V. |
Reproduktion und Layout: |
Horst Stimmann, Bacharach |
Druck: |
Bayer-Druck GmbH, 55459 Grolsheim |
Erschienen |
2004 |
ISBN |
3-928022-77-6 |
Seiten |
136 |
Preis: |
10,00 EUR |
Inhaltsverzeichnis
Leseprobe
1928 : Die Idee, ein Weinlesefest einzuführen
Die schlechte wirtschaftliche Lage in den Rheinlanden wurde auch seitens der Regierung mit viel Besorgnis gesehen.
Da waren die im Winter staatlich geförderten Notstandsarbeiten der Winzer, wenn die eigene Arbeit nicht mehr so
drängte. Sie hatten zu dieser Zeit nur kleine finanzielle Einnahmen, denn die Masse der Weine lagerte weiterhin
schwer verkäuflich in den Kellern. Der Bacharacher Verkehrsverein erkannte die Notlage im Viertälergebiet und
setzte 1928 mit der Idee, ein Weinlesefest durchzuführen, einen Meilenstein für Bacharaeh und den Mittelrhein.
Sehr federführend in dieser Sache war der damalige Weinbaudirektor Peter Carstensen, dessen Hinweise und
Stellungnahmen uns begleiten werden. Seine Frau arbeitete bis 1936 bei der Gestaltung der Festwagen mit.
Das erste Weinlesefest fand am 21. Oktober 1928 statt. Gleichzeitig gründete man eine Winzertrachtengruppe, um
den Fremdenverkehr in der romantischen Weinstadt zu fördern. Damit wollte man neue Freunde des Weines gewinnen.
Gründer der Trachtengruppe war Peter Carstensen. Die Leitung lag in den Händen von Leni Eich und Viktor Mades.
Neben den Tanzpaaren (die Mädchen im Dirndl, die Männer in schwarzer langer Hose, weißem Hemd und rotem Halstuch)
gab es folgende Funktionen:
Träger des Ehrenkranzes: Viktor Mades,
Mundschenk: Albert Dechant,
Polizeidiener: Karl Eckstaedt,
Herold: Johannes Jost.
Die Art des Aufbaus der Gruppe blieb bis in die heutige Zeit erhalten, nur der Polizeidiener war wohl eine Figur
der ersten Jahre.
In dieser Gründerzeit gehörten der Winzertrachtengruppe als Mitglieder an:
Erika Schick, Marianne Lütgens, Else Barth, Gertrud Thiry, Hilde Heyles, Elli Hosch, Sophie Brack, Leni Eich, Lina Heyles, Toni Zimmer, MalIi Völkel, Alwine Corell, Helmut Koch, Otto Mai, Karl Petry, Karl Hochstein, Jakob Herter, Otto Leininger, Müller, Karl-Heinz Barth, Fritz Knauf, Victor Mades, Wasum, Tesi Straßburger
1935 : Die politische Beeinflussung der Wirtschaft
Was lange währt, wird endlich gut. Die Gestaltung der neuen Trachten fand die Zustimmung der Winzertrachtengruppe und die
gelieferten Trachten wurden zum halben Preis von den Trägern übernommen. Von den Mädels konnte man die Beträge aber nicht
einziehen, da die finanzielle Situation der damaligen Zeit dies nicht zuließ. Für die Eltern war es schon Opfer genug, dass
sie ihre Töchter mit nach Goslar fahren ließen. Eine männliche Tracht bestand aus schwarzer Wollstoffjacke und schwarzer
Kniebundhose, weißen Kniestrümpfen sowie auch aus Schnallenschuhen und Hut. Sie kostete RM 60,80. Eine weibliche Tracht
aus schwarzem Kleid mit rotem Einsatz, weißer Bluse, roter Jacke darüber ein buntes Tuch und als Kopfbedeckung eine
bestickte Haube, sowie weisse Strümpfe und schwarze Schuhe, kostete RM 49,-.
Mit der Zeit wurde der Einfluss der Partei in allen Ebenen der Bevölkerung immer stärker. Das Verhandeln um Projekte,
besonders in der Sache der Patenweine, oblag ihr ganz und gar, und den dabei getroffenen Beschlüssen war unbedingt Folge
zu leisten. Die Bürgermeister und auch der Landrat waren teils mit in den Ausschüssen vertreten, doch ohne den stellvertretenden
Kreisleiter durften sie nicht tätig sein.
Palenstädte und Patenweine, eine neue Form der Weinwerbung
Der private stetige Weinkonsum in jener Zeit war nicht so verbreitet wie wir ihn jetzt haben. In den meisten Familien kam
der Wein nur zu festlichen Gelegenheiten auf den Tisch. Das damalige wirtschaftliche Tief verschärfte die Situation noch
mehr. Bacharach erfreute sich eines guten Fremdenverkehrs, und hierbei lernte man den Wein kennen. Das Mitteleuropäische
Reisebüro (M.E.R.) bot z. B. bei seinen Reisen nach Bacharach eine Weinprobe in einer Weinkellerei als einen Programmpunkt
an. Auch die Urlauber der damaligen K.d.F.-Organisation (Kraft durch Freude) nutzen diesen beliebten Brauch. Zu den Rheinischen
Abenden für die Reisegruppen tanzte in der Regel die Winzertrachtengruppe und Bürgermeister Berger war stets bestrebt,
die Gäste in Stimmung zu versetzen. Wenn ihm dies in der ersten halben Stunde gelang, verschwand er ganz unauffällig.
Unter der Führung des Reichsnährstandes entstand in Berlin ein Reichsorganisationsausschuss für das "Fest der deutschen
Traube und des deutschen Weines", das erstmals 1935 stattfand. In einer Gemeinschaftswerbung unter Beteiligung weitester
Volkskreise sollte das Fest nicht den Alkoholverbrauch steigern, sondern den Gedanken fördern, dass Wein ein Volksgetränk
sei. Es galt die Arbeit im Weinbau bewusst zu machen und an einer Erhaltung und Stärkung mitzuarbeiten. Mühselige Arbeit
sollte gerecht entlohnt werden, was durch höheren Absatz möglich war. Die Zahl der damals mit der Weinerzeugung beschäftigten
Personen war recht hoch. Die Keller bedurften der Leerung, um die Unterbringung der neuen Ernte zu ermöglichen. Zu werben
galt es für die Vielfalt der Nutzung. Neben dem Wein sollte man den Genuss der Esstraube, den Traubensüßmost und auch den
Schaumwein nicht vergessen.
Weinwerbewochen in den Wein-Patenstädten
Der Reichsorganisationsausschuss als Dachorganisation setzte sich aus vielen Gruppierungen zusammen. Ein Unterausschuss
hatte als Aufgabe den Patenweinabsatz zu fördern. Außerhalb der Weinhaugebiete entstanden Patenstädte, denen dieser
Ausschuss Patenweinorte zuteilte.
Die Patenstädte des Kreises St- Goar waren im Jahr 1935:
- Magdeburg : Bacharach/Boppard
- Halle : Boppard/Oberwesel
- Aschersleben : Burgen (Mosel)
- Bernburg : Niederheimbach
- Halberstadt : Steeg
- Köthen : Bacharach
- Dessau : St. Goar
- Quedlinburg : Oberwesel
Die Bedingungen für diese geplanten Aktionen waren sehr streng. Es war ein langer Weg in dieser straffen Organisation,
bis die Anweisungen die Weinorte erreichten. In den Patenstädten gab es Weinhändler als Weinverteiler. Die Besitzer von
Gaststätten, die Inhaber von Ladengeschäften, sie alle stellten Zulassungsanträge und mussten vorweg erklären, dass sie
sich den vorgesehenen Richtlinien unterwerfen und sie selbst sowie ihre stillen Teilhaber arischer Abstammung waren. In
einer Patenstadt war der Patenstadt-Organisationsausschuss zuständig für die Zulassung aller Vertriebsarten. Auf Patenweine
durften keine besonderen Zuschläge erhoben werden; sie durften nur mit zugelassenen Etiketten versehen werden, die zentral
gedruckt wurden. Weinkontrolle und Weingesetz waren zu beachten, auch die geschmackliche Art des Weines wurde beurteilt.
Die Qualitätskontrolle unterlag in den Weinhaugemeinden dem Ortsbauernführer. Der Verkauf ab dem Erzeuger durfte nur mit
einem ordnungsgemäßen Schlußschein erfolgen, mit ihm war Kontrolle und Statistik möglich. Verkäufer und Käufer unterschrieben
ihn. Ein Durchschrift ging an den Vorsitzenden des Weinbauwirtschaftsverbandes, der Zentralstelle für Wein nach Bonn. In
der begleitenden Rechnung musste die Nummer des Schlussscheines aufgeführt sein. Diese beiden Dokumente waren für den
gesamten Transport nötig, ob im Weinbaugebiet oder zur Patenstadt. Aus Kostengründen strebte man den Sammeltransport an.
Den Preis für die Erzeuger überwachte eine Kommission, aber auch in der Patenstadt galt Preisfestsetzung durch den
Patenstadt-Organisationsausschuss. Dies war ein Ausschnitt aus den vielen Richtlinien, die für diesen Zweck erstellt
wurden.
Am 4. August erreichte Bacharach eine erste Meldung, dass die Stadt Neuß bereit war, eine Patenschaft über notleidende
Weinbaugemeinden zu übernehmen. Der Reichsbeauftragte für die Regelung des Absatzes von Weinerzeugnis teilte der Stadt Bacharach auch Clotten an der
Mosel zu. Nun wurde es lebhaft in Bacharach und seinen Weilern, denn die Weine sollten bis zum 20. September 1935 abgerufen sein.
Es war also eine dringende Angelegenheit. Im Vordergrund stand, welche Winzer in Frage kamen, denn in jenen Tagen gab es
im Raum Bacharach weit mehr Winzer als heute. So entschlossen sich die Gremien, 20 Proben aus dem Bereich Bacharach,
Henschhausen, Neurath und Medenscheid anzustellen. Diese Winzer waren für die Belieferung der Weinverteiler (Weinhandlungen)
in den Patenstädten zuständig. Die Neußer Weinhändler, es waren ihrer drei, gaben ihrerseits die Bestellungen an einen
Weinkommissionär in Bacharach, der eine zentrale Person in dieser Aufgabe darstellte und im Sinne eines Weinverteilers
hauptberuflich tätig war.
Die Aufgabe der hiesigen Weinhandlungen erstreckte sich auf die Belieferung des Lebensmittelhandels (trockene Händler).
Die Weinhandlungen verpflichteten sich bei erfolgtem Verkauf, dasselbe Quantum hiesiger Weine noch vor Herbst wieder
einzukaufen. Die zu liefernden Flaschenweine wurden mit einer Halsschleife "Patenwein der Stadt Bacharach" versehen.
Die Stadt Neuß war sehr aktiv und plante ein Winzerfest, an dem sich die Bacharacher Winzertrachtengruppe mit 17 Personen
beteiligte. Für die Fahrt und die Unterkunft sorgte Neuß. Bacharach selbst wollte ein Handgeld geben. Außer der Winzertrachtengruppe
wünschte Neuß 30 Winzermädel für den dortigen Ausschank und den Verkauf von Liederheften und Mützen. Im Übrigen hieß es
aber Tanz und Stimmung in das betreffende Lokal bringen. Vier Winzerinnen waren für das Büfett im großen Festzelt auf dem
Marktplatz eingeteilt. Dies alles bereitete Probleme. Wer kam in Frage? Wer war bereit mitzumachen? Erst meldeten sich nur
fünf Personen, später waren es mehr.
Mitte September kam Magdeburg als weitere Patenstadt für Bacharach und Boppard insbesondere und den übergeordneten Kreis
St. Goar hinzu. Die Weinorte sandten Bild- und Informationsmaterial an die einzelnen Patenstädte. Das Hotel "Der Reichshof"
in Magdeburg meldete, dass schon 14 Fuder untergebracht wurden. Die Mitteldeutsche Zeitung schrieb sogar von einer
Bestellung von 100.000 Liter Wein aus Bacharach, Boppard und dem Kreis St. Goar. Zum bevorstehenden Bacharacher Weinlesefest
erging eine Einladung an den Oberbürgermeister von Magdeburg.