Buch

Bacharach und die Geschichte der Viertälerorte

Herausgeber:

Friedrich-Ludwig Wagner

Herausgeber und Verleger:

Verein für die Geschichte der Stadt Bacharach und der Viertäler e. V.
Postfach 1139
55419 Bacharach

Satz und Druck:

Druckerei Wilhelm Hermann GmbH
55430 Oberwesel (Rhein)

Erschienen

1996

ISBN

3-00-000994-9

Seiten

520

Preis:

23,50 EUR

Inhaltsverzeichnis

  1. Heinz Peter Maurer : Die geologische Beschaffenheit des Viertälergebietes und seine geografische Lage
  2. Konrad Keißig : Die geologische Entwicklung des Mittelrheintales
  3. Gabriele Ziethen / Gerd Rupprecht : Zur Geschichte des Viertälergebietes vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung
  4. Franz Staab : Ein römischer Verkehrsknotenpunkt auf dem Wege zur mittelalterlichen Stadt
  5. Friedrich-Ludwig Wagner : Bacharach im Mittelalter
  6. Friedrich-Ludwig Wagner : Bacharach im 17. und 18. Jahrhundert
  7. Friedrich-Ludwig Wagner : Die adligen Geschlechter des Viertälergebietes von Bacharach
  8. August Weiler : Die Reichsritter von Schönburg zu Oberwesel und ihre Beziehungen zum kurpfälzischen Oberamt Bacharach
  9. Manfred Halfer : Flurnamen des Viertälergebietes
  10. Willi Wagner : Grenzstreitigkeiten zwischen Kurpfalz und Pfalz-Simmern
  11. Wolfgang Heß : Münzstätte Bacharach
  12. Werner Seeling : Die Stadt Bacharach zur Zeit der Französischen Revolution
  13. Fritz Schellack : Die Geschichte Bacharachs zu preußischer Zeit
  14. Frank Zimmer : Diktatur und Krieg - Bacharach von 1933 bis 1945
  15. Friedrich-Ludwig Wagner : Das frühe Kirchenwesen in den Viertälern von Bacharach
  16. Friedrich-Ludwig Wagner : Die Einführung der Reformation
  17. Werner Seeling : Die evangelische Kirchengeschichte des Viertälergebietes nach der Reformation
  18. Walter Zahn : Die Kirchen im Viertälergebiet
  19. Dietmar C. Geschwinder † : Die St.-Nikolaus-Kirche und das ehemalige Kapuzinerkloster
  20. Dietmar C. Geschwinder † : Die Kapelle St. Josef
  21. Dietmar C. Geschwinder † : Kloster Fürstental
    Geschichte des Klosters der Wilhelmiten am Winsbach (1288-1558)
  22. Arnold Wolff / Peter Keber : Die Wernerkapelle
    Ein Denkmal erhebt Anspruch - Weg einer Bürgerinitiative   Leseprobe
  23. Karl Heinz Debus : Die Geschichte der Juden in Bacharach
  24. Susanne Schlösser : Das Bacharacher Hospital
    Ein Beitrag zu seiner mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte
  25. Karl-Ernst Linz : Das Schulwesen in den Viertälern
  26. Peter Bahn : Die Geschichte von Oberdiebach und Manubach
  27. Walter Zahn : Der "Viertälerort" Steeg und der ehemalige Filialort Breitscheid
  28. Karl-Ernst Linz : Die Ausbauorte Henschhausen, Neurath und Medenscheid
  29. Jürgen Bastian : Bacharach und der Wein
  30. Walter Zahn : Winzerverein 1863 Steeg
  31. Walter Zahn : Der Viertäler Feuerwein
  32. Sabine Zahn : Die Winzertrachtengruppe Bacharach
  33. Karl-Ernst Linz : Die Mühlen im Viertälergebiet
  34. H. D. Tinnefeld : Die wirtschaftliche Bedeutung der Steinbrüche und Schiefergruben
  35. Karl-Ernst Linz : Von den Zünften in den Viertälern
  36. Karl-Ernst Linz : Zech- und Trinkstubengesellschaften im Mittelalter
  37. Reinhold Maus : Schiffahrt in alter und neuer Zeit
  38. Reinhold Maus : Fährverbindungen über den Rhein
  39. Karl-Ernst Linz : Straßen und Wege
  40. Karl-Ernst Linz : Brunnen und Brunnennachbarschaften
  41. Werner Weidmann : Soziale Spannungen zur Zeit der Hungersnot von 1816/17
  42. Karl-Ernst Linz : Von den Anfängen der Post
  43. Karl-Ernst Linz : Bacharacher Stärkefabrikanten
  44. Karl-Ernst Linz : Die Bacharacher Laubsägenfabrikanten
  45. Gerhard Hanke : Die Waldgeschichte der "Viertäler"
  46. Fritz Schellack : Volkskundliches aus dem Raum Bacharach unter besonderer Berücksichtigung von örtlichen Festen und Bräuchen

Leseprobe

Leseprobe  Die Wernerkapelle

Ein Denkmal erhebt Anspruch - Weg einer Bürgerinitiative
Autoren: Arnold Wolff und Peter Keber
Kapitel: 23
Seiten: 311 bis 318 ...

Weithin im Rheintal sichtbar steht oberhalb der Stadt Bacharach, eingebettet in Wälder und Rebenhänge, die Ruine der aus rotem Sandstein erbauten Wernerkapelle auf einem Felsvorsprung zwischen der romanischen Pfarrkirche St. Peter und der auf der Berghöhe aufragenden Burg Stahleck.

Die Ruine, die als Wahrzeichen der Stadt Bacharach gilt, befindet sich seit vielen Jahren im Zustand höchster Gefährdung.

Abgesehen von der Selbstverständlichkeit, möglichst alle Überreste des Kunstschaffens vergangener Epochen zu bewahren, gibt es bei der Wernerkapelle noch drei besondere Gründe für die Erhaltung des noch vorhandenen Bestandes in der heute sichtbaren Form; ihre denkwürdige Entstehung im Zusammenhang mit wüsten Ausschreitungen gegen die Juden, ihre Bedeutung als hochgotisches Kunstwerk und ihre Rezeption im Zeitalter der Romantik.

Voller Tragik ist die Vorgeschichte. Der Mord an dem Knaben Werner, dessen Leiche man in der Karwoche 1287 in Bacharach fand, wurde ohne vernünftigen Grund der Judengemeinde im benachbarten Oberwesel zur Last gelegt. Sofort setzte in den Rheinstädten eine wilde Judenverfolgung ein, der über 40 Menschen zum Opfer fielen. Gleichzeitig pilgerten die Volksmassen zum Grabe des als Märtyrer verehrten Werner, den man in der kleinen Kunibertskapelle auf dem Friedhof oberhalb der Bacharacher Pfarrkirche beigesetzt hatte. Obwohl die höheren kirchlichen und weltlichen Stellen sich zurückhielten, ja die Wallfahrt mißbilligten, war die Volksbewegung nicht aufzuhalten. Gelegentliche Ablässe zugunsten der Kunibertskapelle wurden bereitwillig als kirchliche Zustimmung aufgefaßt.

Bald nach 1289 muß mit dem Neubau begonnen worden sein, der um die alte Kapelle herum angelegt wurde. Bereits 1293 wurde der Südflügel geweiht. Der Ostchor folgte bis um 1320. Die vollendeten Teile erhielten Dächer, aber keine Gewölbe. Nach einer vorläufigen Weihe im Jahre 1337, bei der auch die Nordkonche bis in die Fensterbankhöhe gestanden haben dürfte, blieb der Bau unfertig liegen, hauptsächlich wohl, weil die erwartete Heiligsprechung Werners ausgeblieben war. Um diese doch noch zu erreichen, ließ der Frühhumanist Winand von Steeg, seit 1421 Pfarrer in Bacharach, in den Jahren 1428 und 1429 die Aussagen von 211 Personen zu Protokoll nehmen und setzte damit den Kanonisationsprozeß erneut in Gang. Obwohl Rom auch diesmal nicht reagierte, führten die Aktivitäten Winands zur Fortsetzung des Baus. Noch bevor er 1438 aus dem Pfarramt schied, dürften die Nordkonche, der kurze Westbau und die Gewölbe in allen Teilen der Kapelle vollendet gewesen sein.

Als 1689 die Burg Stahleck gesprengt wurde, zerstörten herabfallende Trümmer die Fenster und Dächer der Kapelle. Der nicht mehr genutzte Bau verfiel immer mehr, bis um 1759 die Nordkonche abgetragen und 1787 Dächer und Gewölbe entfernt wurden. Damit war der heute sichtbare Zustand erreicht. Spätere Maßnahmen dienten nur noch dem Erhalt der Ruine.

Die Wernerkapelle darf als eine der edelsten und reifsten Schöpfungen der Gotik in Deutschland gelten. Trotz der späteren Fertigstellung scheint der ursprüngliche Baugedanke unverfälscht verwirklicht worden zu sein, ja man hat sogar den Eindruck, daß man um 1425 nicht aus Verehrung für den Knaben Werner, sondern auch wegen der als besonders kostbar empfundenen Architektur die Vollendung anstrebte.

Möglicherweise errichtete man damals den jetzt noch teilweise vorhandenen einjochigen Westbau statt einer vielleicht ursprünglich vorgesehen vierten Konche. Dieser schließt unmittelbar an die Vierung an, von der nach Norden und Süden Konchen mit Fünfachtelgrundriß ausgehen. Der in gleicher Weise gebildete Ostchor ist durch ein zusätzliches Zwischenjoch hervorgehoben. Obwohl die Grundgestalt klar und einfach zu sein scheint, läßt sie sich nur schwer einordnen. Am ehesten mag man an eine Reduzierung der Liebfrauenkirche in Trier denken. Jedenfalls hat der sicherlich bedeutende Architekt seine Aufgabe hervorragend gelöst, galt es doch, auf dem extrem ungünsten Bauplatz ein möglichst eindrucksvolles Bauwerk zu errichten. Da wegen der Hauptansicht von Osten, also vom Rheinstrom her, und wegen des nach Westen steil ansteigenden Berges eine aufwendige Westfront als Kunstform ausschied, bot eine Dreikonchenanlage nicht nur die beste Entfaltungsmöglichkeit, sondern auch die günstigere Nutzung. Der Südchor dient der Aufstellung des Werner-Sarkophages, der Ostchor der eucharistischen Liturgie und dem Chorgebet, der Nordchor mußte als Eingangshalle herhalten, denn die Westseite war vom Tal her nicht zu erreichen.

So fand der Pilger trotz der gedrängten Anordnung durchaus vertraute Verhältnisse wieder; Heiligenbäder im Querhaus finden sich häufig, vgl. Marburg, St. Elisabeth und den Santo in Padua.

Oberhalb der Fensterbank sind die Chöre vollständig in feingliedriges Stabwerk aufgelöst. Schlanke drei- und vierbahnige Fenster werden von Maßwerken in reinsten hochgotischen Formen gekrönt. Außen entwachsen den schlichten, mit Blendarkaden geschmückten Strebepfeilern steile Wimperge und Fialen, im Osten reicher, nach den Seiten wohlabgestuft reduziert. Zwölf Wasserspeier in Tiergestalt entspringen dem vorragenden Dachgesims, das ursprünglich zweifellos eine von hohen Fialen überragte Maßwerksbrüstung trug.

Wenn auch das Formengut weitgehend dem des Kölner Domes entlehnt ist, so sollte man sich doch nicht ohne weiteres der nur selten in Frage gestellten Behauptung anschließen, die Wernerkapelle sei von der Kölner Hütte entworfen oder gar ausgeführt worden. Eine sorgfältige Untersuchung würde vermutlich mindestens ebenso nachhaltige Einflüsse aus dem Umkreis des Straßburger Münsters und überhaupt des Ober- und Mittelrheins nachweisen können. Darüber hinaus muß man mit einem erfahrenen Baumeister rechnen, der die Architektur seiner Zeit souverän beherrschte und deren Formenschatz gezielt einzusetzen verstand. Seiner technischen Meisterschaft ist die bemerkenswert solide Ausführung zu verdanken, übrigens der wichtigste Grund dafür, daß die unter seiner Leitung entstandenen Teile allen Zerstörungen widerstanden haben.

Wenn auch zu allen Zeiten die Schönheit und die besondere Bauart der Kapelle hervorgehoben wurden, so begann ihr wirklicher Ruhm bezeichnenderweise doch erst genau in jenem Augenblick, da der uns heute vertraute Ruinenzustand eingetreten war. Noch vor 1790 entstanden die ersten Zeichnungen reisender Engländer, die als erste die zerfallene Kapelle entdeckten: die Rheinromantik begann. In ihren zahllosen literarischen und künstlerischen Dokumenten schlug sich eine Stimmung nieder, die einen völligen Wandel des Denkens, eine Umkehr des Bewußtseins anzeigt. Das Zeitalter der Aufklärung ging zu Ende, eine neue Epoche brach an.

Fragt man, was das enge Rheintal auf der verhältnismäßig kurzen Strecke zwischen Bingen und Koblenz zu einem solch bedeutenden Faktor im Gesamtbild der romantischen Bewegung des späten 18. und 19. Jahrhunderts gemacht hat, so kommt man bald darauf, daß es Gegensätze waren, die sich hier zeigten und die die empfindsamen Gemüter jener Zeit so zu erregen vermochten. Die Wildheit des noch unregulierten Flusses, die Schroffheit der Felsen und Burgruinen und auch der rohe Betrieb der Rheinschiffahrt kontrastierten auffällig zu dem lieblichen Bild der kleinen Dörfer und Städte, zu der freundlichen Atmosphäre auf Märkten und Gassen. Die dichteste Ballung von Gegensatzpaaren dürfte dabei Bacharach geboten haben. Hinter der heiteren, malerischen Kulisse des Ortes, eingebunden in das dunkle Grün der Wälder, erhob sich in mathematischer Kühle und wie von einem Genius aus einer anderen Welt ersonnen die scharfgeschnittene Ruine der Wernerkapelle: welch ein Anlaß zu romantischen Gedanken! Hier die Geschäftigkeit, dort die Ruine, hier die bunte Pracht, dort die monochrome Strenge, hier die hausbackene Gemächlichkeit, dort Ahnung höchsten künstlerischen Wollens. Natürlich waren die Reisenden literarisch und historisch gebildet, so daß sich zu den erlebten noch die gewußten Gegensätze gesellen. Nicht umsonst erscheint auf den Bildern immer wieder die ältere, romanisch intakte St.-Peters-Kirche neben der jüngeren, gotischen, ruinösen Wernerkapelle.

Sulpiz Boisserée ließ in seiner Tagebuchnotiz vom 7. Februar 1819 noch zwei andere Gegensatzpaare anklingen, das nationale und das konfessionelle: "Bacharach St. Werner Kirch - das verfallene schöne altdeutsche Gebäude: unten daran die reformierte Kirch byzantinisch (...)." Genug, die Kumulation von Reizen in einer ohnehin von Reizen überquellenden Landschaft ließen Bacharach zum Höhepunkt des romantischen Erlebnisses werden, in den ohne die Wernerkapelle, und zwar ausdrücklich in ihrem Ruinenzustand, ein ganz entscheidender Faktor gefehlt haben würde.

Die Denkmalpflege hat dies seit den ersten Sicherungsmaßnahmen im Jahre 1847 gesehen. Paul Clemen betont es in seinem Bericht über erneute Konservierungsarbeiten im Jahre 1901: Ein etwaiger Ausbau würde das einzigartige Gesamtbild sofort stören.

Heute, da das Ruinenbild selbst das unverdächtig denkmalwürdige Alter von fast zweihundert Jahren erreicht hat, ist der kostbare kleine Bau erneut in Gefahr. Die Zinkabdeckung aus dem 19. Jahrhundert, auf alten Photos noch sichtbar, wurden 1932 nach einem Sturmschaden aus ästhetischen Gründen durch einfache Schieferplatten ersetzt. Diese verschoben sich im Laufe der Jahre oder fielen gar herab. Das Wasser konnte nun von oben in die Mauerkrone eindringen und richtete dort, besonders bei Frost, beträchtliche Schäden an. Dabei wurde das Mauerwerk so geschwächt, daß es die Schubkräfte aus den beiden noch vorhandenen Vierungsbögen nicht mehr aufnehmen konnte. Das seit zwei Jahrhunderten stabile Gebäude geriet wieder in Bewegung und das in einem Maße, das zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß gab. In dieser Phase konnten geringfügige Anlässe zum Einsturz weiterer Bauteile führen.

Glücklicherweise haben inzwischen die ersten Arbeiten zur Sicherung der Ruine begonnen. Hierzu bedurfte es einer Bürgerinitiative - einer Initiative von Bürgern der Stadt Bacharach und interessierten Kunstfreunden aus allen Regionen der Bundesrepublik. Weder das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 noch ständiges Mahnen in den Jahren davor und danach brachten der von dem Verfall bedrohten Wernerkapelle das, was ihrer Bedeutung angemessen ist.

Seitens der Bürgerinitiative galt es nicht anzuprangern und Anspruch zu erheben. Den Anspruch erhebt das Denkmal Wernerkapelle selbst. Es galt vielmehr, Probleme zu erkennen, Phantasie zu entwickeln und das Engagement interessierter Bürger, die um den kunsthistorischen Wert des Wahrzeichens ihrer Stadt wissen, in die richtige - die positive, die konstruktive - Richtung zu lenken.

Bürgerinitiativen werden allzuleicht mit negativem - destruktivem Anstrich versehen - wie sollen sie dann noch konstruktive Ideen entwickeln? Welches Problem auch immer seitens einer Bürgerinitiative aufgegriffen wird - sie sollte in jedem Falle von positivem Denken und Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten beherrscht sein.

Wo lagen und liegen die Probleme des Baudenkmals Wernerkapelle? Sie liegen nicht etwa - wie im Denkmalschutz so oft - in der Schwierigkeit der Subsumtion des betroffenen Bauwerks unter den juristischen Begriff "Kulturdenkmal" und in der sich daran anschließenden Durchführung und Durchsetzung der denkmalschutzrechtlichen Gesetzesfolge - der Erhaltung aus öffentlichem Interesse.

Über die Auslegung dieser Rechtsbegriffe gibt es im Falle Wernerkapelle keinerlei Schwierigkeiten. Die Wernerkapelle ist ein Kulturdenkmal "par excellence". Die Problematik liegt einfacher und tiefer zugleich. Die Wernerkapelle befindet sich aufgrund einer Neuverteilung des Kirchenvermögens im Jahre 1705 im juristischen Eigentum der 800 Seelen umfassenden katholischen Kirchengemeinde Bacharach. Es ist unschwer erkennbar, daß eine Kirchengemeinde dieser Größenordnung, die auch noch andere erhaltenswerte Baudenkmäler, die sich noch in kirchenlichem Gebrauch befinden, zu unterhalten hat, finanziell überfordert ist. Der Grundsatz "Eigentum verpflichtet" hilft hier zumindest in bezug auf die 800 Mitglieder zählende Pfarrgemeinde nicht weiter.

Das vielschichtigere Problem liegt in der Tatsache begründet, daß der rheinland-pfälzische Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Denkmalschutzgesetzes die Kirchen in diesem Gesetz weitgehend aus ihrer Eigentümerpflicht entlassen hat. Wenn der Grundsatz "Eigentum verpflichtet" auf jeden privaten Eigentümer Anwendung findet, dann muß er erst recht in bezug auf die Kirche als Institution ernstgenommen werden. Dies um so mehr, als die Kirchen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens das Versprechen gegeben haben, den Denkmalschutz auch künftig mit eigenen anerkannten Stellen durchführen zu wollen.

Der Verweis der Kirchenvertreter auf Artikel 140 des Grundgesetzes und auf Artikel 137, Abs. 3, der Weimarer Verfassung sowie auf die bisherige beispielhafte innerkirchliche Denkmalpflege, die hier unbestritten sein soll, kann das Freistellungsbegehren der Institution Kirche von der staatlichen Denkmalpflege nicht rechtfertigen. Der Landesgesetzgeber ist diesem Begehren m. E. zu großzügig nachgekommen, was am Beispiel des Kulturdenkmals Wernerkapelle geradezu klassisch zu belegen ist.

Die Wernerkapelle befindet sich bereits seit 1705 nicht mehr im Gebrauch für gottesdienstliche Zwecke - sie ist somit seitdem ein profanes Kulturdenkmal in kirchlichem Eigentum und hat als solches ab der Zeit der Romantik erst die heutige Bedeutung erlangt. Gerade diese Tatsache hätte für den rheinland-pfälzischen Gesetzgeber im Jahre 1977 Anlaß sein müssen, das Freistellungsbegehren in bezug auf die profanen Denkmäler in Kirchenbesitz zurückzuweisen. Insoweit geht der Hinweis der Kirchen auf Artikel 137 der Weimarer Verfassung fehl, da diese Vorschrift lediglich die selbständige Verwaltung von Dingen, die dem Gottesdienst und der Seelsorge dienen, garantiert.

Die rheinland-pfälzische Legislative ist den Kirchen damit einen Schritt zu weit - über den Verfassungsauftrag der Weimarer Verfassung hinaus - entgegengekommen, was m. E. ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Schutz und Pflege aller Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz unter gleichen Bedingungen) beinhaltet.

Die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung des ansonsten praktikablen Denkmalschutzgesetzes von Rheinland-Pfalz wird daran zu messen sein, wie ernsthaft die Kirchen ihr Versprechen, Denkmalschutz auch hinsichtlich ihrer profanen Baudenkmäler mustergültig betreiben zu wollen, einlösen.

Das Erkennen der vorstehenden Problematik war notwendig, um der Bürgerinitiative zur Erhaltung des profanen Baudenkmals Wernerkapelle eine tragfähige Arbeitsgrundlage zu geben. Die Gesetzeslücke im Landesgesetz mußte nach der Auffassung der Initiatoren durch den Abschluß eines Kooperationsvertrages auf privatrechtlicher Basis geschlossen werden. Dies deshalb, weil die Kirchenvertreter im Vorfeld beharrlich auf das zurückgehende Kirchensteueraufkommen und auf die Notwendigkeit der Priorität noch in kirchlichem Gebrauch befindliche Baudenkmäler erhalten zu müssen, verwiesen.

Schon kurze Zeit, nachdem die Bürgerinitiative im Frühjahr 1981 ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurde die Gründung des Bauvereins Wernerkapelle in Angriff genommen. Nachdem die Bürger in der Region Mittelrhein durch Lichtbildvorträge und Presseberichte informiert und bundesweit nahezu 4000 Einzelpersonen auf eigene Kosten der Initiatoren per Anschreiben über die Gefährdung der Wernerkapelle aufgeklärt waren, wurde die Gründung des Bauvereins von der Bereitschaft der Eingentümerin, mit dem "Bauverein in Gründung" einen Kooperationsvertrag abzuschließen, abhängig gemacht. Der Kooperationsvertrag sieht vor, daß Bauverein und Eigentümerin die Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel zügig vorantreiben.

Unter dem Vorsitz des Kölner Dombaumeisters Prof. Dr. Arnold Wolff, entscheiden der Bauverein, die Kirchengemeinde, der Diözesankonservator sowie der Landeskonservator über Planung und Durchführung der jeweiligen Baumaßnahmen.

Die Absicherung dieses Mitspracherechtes zugunsten des zu gründenden Bauvereins, der ehrenamtlich mitarbeitenden Experten, sowie des Landeskonservators, der nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz ein derartiges Mitbestimmungsrecht nicht besitzt, war für die Initiatoren unumgänglich - gilt es doch, die erwarteten Spendengelder zügig, verantwortungsbewußt und sachgerecht am Objekt einzusetzen, und zwar konstruktiv mitbestimmt und nicht nur wie es das Landesgesetz zurückhaltend vorsieht, "im Benehmen" mit der staatlichen Denkmalfachbehörde.

Insoweit stehen sich die Initiatoren angesichts der Tatsache, daß es sich bei der Wernerkapelle um ein profanes Kulturdenkmal der katholischen Kirche handelt, in Pflicht und Verantwortung gegenüber den künftigen Mitgliedern des Bauvereins.

Zur Freude aller konnten die Gründungsmitglieder des Bauvereins die Einwilligung zur Unterschrift der Eigentümerin sowie die Genehmigung des Kooperationsvertrages durch die Diözese Trier schon im April 1981 bekanntgeben und den Adressatenkreis des ersten Informationsschreibens zur Gründungsversammlung des Bauvereins Wernerkapelle einladen.

Am 9. Mai 1981 wurde der festliche Gründungsakt im Rittersaal der Burg Stahleck unter der Schirmherrschaft des Landtagspräsidenten von Rheinland-Pfalz, Albrecht Martin, vollzogen. Das Stadium der Bürgerinitiative war nur aufgrund ernsthafter und intensiver Vorabeit aller Beteiligten so schnell zu durchlaufen.

Nahezu 400 Mitglieder des Bauvereins Wernerkapelle haben zwischenzeitlich zusammen mit den Bürgern der Stadt Bacharach und allen anderen an den Erhaltungsmaßnahmen Beteiligten Beachtliches geleistet:

Die Rentnerin mit schmaler Witwenrente durch ihre 5-DM-Spende jährlich,
oder der großherzige Stifter mit fünfstelliger Spende,
oder der Feuerwehrmann aus dem Stadtteil, der zusammen mit 130 anderen freiwilligen Helfern 15 Tonnen Gerüstmaterial 100 Treppenstufen über eine Menschenkette hinauf zum exponierten Standort des Denkmals "hantierte" und so DM 25.000,- Transportkosten ersparte,
oder der Hubschrauberpilot, der mangels anderer Zuwegung in schwierigsten Flugmanövern unförmige Baumaterialien zum "Kapellenpreis" einflog,
oder der Dombaumeister und andere hochkarätige Experten, die ehrenamtlich mit Rat und Tat im Fachbeirat des Bauvereins zur Verfügung stehen,
oder der Pianist, der Dichter, der Sänger, der Schauspieler, der in Benefizveranstaltungen für "Gotteslohn" mithilft, die Spendenkasse zu füllen.

Allen gebührt Dank.

Das bisher Erreichte sollte jeden einzelnen in seinem Engagement bestätigen und sowohl ihn als auch jeden, der sich von dem, was eine konstruktive Bürgerinitiative zu leisten vermag, angesprochen fühlt, anspornen, noch Unerledigtes in Angriff zu nehmen.

Mit Stolz konnten die Initiatoren des Bauvereins zwischenzeitlich im Namen seiner Mitglieder den Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz, den Deutschen Preis für Denkmalschutz sowie den Europa-Preis für Umweltschutz entgegennehmen.

Wenn auch der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz im Rahmen der Ordensverleihung von außergewöhnlich großartigen Verdiensten gesprochen hat, so bleibt es bei der eingangs getroffenen Aussage, daß es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, die Überreste des Kunstschaffens vergangener Epochen zu erhalten.

Über diese Selbstverständlichkeit hinaus ist es für uns ein besonderes Anliegen, die restaurierte Wernerkapelle vor dem Hintergrund ihrer denkwürdigen Entstehungsgeschichte, in unserer heutigen Zeit als Mahnung zum geschwisterlichen Umgang zwischen Christen und Juden zu betrachten.

Wir werden deshalb unsere nunmehr 15 Jahre andauernden Restaurierungsarbeiten in 1996 zu einem guten Ende bringen, indem wir ein Gebet, das der größte Mittler zwischen Juden und Christen, Papst Johannes XXIII, kurz vor seinem Tod verfaßt hat, in Stein meißeln lassen:

Wir erkennen heute, daß viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen verhüllt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres gestorbenen Bruders wiedererkennen.
Wir erkennen, daß ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine Liebe vergaßen.
Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht an den Namen der Juden hefteten.
Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fleische zum zweitenmal ans Kreuz schlugen.
Denn wir wußten nicht, was wir taten.

(Papst Johannes XXIII)